Contribution 
Die orientalische Frage :
(Fortsetzung)
Page
266
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

260

Die orientalische Frage

lcmds nach einer Revanche für Scbastopol beruhigend wirken, mindestens aber zn einem Einverständnis zwischen Österreich-Ungarn nnd Nußland in der Be­handlung der Orientfrnge führen und somit einen Zusammenstoß zwischen diesen beiden Machten verhindern mußte, Daß sich diese Erwartung nur zum Teil erfüllte, daran trugen die Eitelkeit Gortschakows, die Umtriebe Jgnatiews in Konstantinopel und endlich wohl auch das Bestreben russischer Kreise schuld, sich dem gewaltigen Einflüsse des Vorhandenseins des nenen Deutschen Reichs zu entziehen. In Petersburg wußte man wohl, daß Deutschland im eignen Interesse Plänen entgegentreten müsse, die geeignet wären, die Stellung Österreich-Ungarns auf der Balkauhalbinsel zu vernichten. Die Annäherung zwischen Wien und Berlin stellte nun Nnßlcmd vor die Alternative, entweder sich der österreichisch-deutschen Entente anzuschließen uud in den orientalischen Dingen im Einverständnisse mit Österreich-Ungarn vorzngehn, mithin auf jede einseitige Eroberungspolitik zu verzichten, oder aber zu ihrer Durchführung eine audre Allianz zu suchen, Frankreich kam zunächst in Betracht, Revanche­ideen und monarchische Restaurationsversuche hatten in Paris eine fieberhafte Stimmung erzeugt, und da man in Petersburg nicht sänmte. durch Hinweise auf angebliche Vorbereitungen Deutschlands zu einem Angriffskrieg gegen Frankreich dieses zu erhitzen, schien das Dreikaiserbünduis gesprengt und der Abschluß eines russisch-französischen Kriegsbünduisses in nächste Nähe gerückt zu sein. Der Sturm wurde jedoch beschwöre», uud als im Jahre 1875 in der Herzegowina ein Aufstand ausbrach, dem russische Agenten nicht fern­standen, und sich auch die Serben erhoben, kam es zu eiuer Verständigung der drei Kanzler, der später im Juli 1876 das russisch-österreichische Abkommen von Neichstadt folgte, dessen Existenz heute nicht mehr bestritten wird, und dessen Inhalt nur insofern noch nicht ganz klar ist, als ganz in neuster Zeit von russischer Seite behauptet wird, daß damals Österreich-Uugarn Bosnien und die Herzegowina von Gortschakow zwar zugestanden, diese Abmachung jedoch von Kaiser Alexander dem Zweiten nicht ratifiziert worden sei.

Der wichtigste Punkt in dem sich aus dem Aufstand in der Herzegowina entwickelnden letzteil rnssisch-türkischen Krieg ist das Eingreifen der rumänischen Armee, das Nußland die militärischen Erfolge des Feldzngs sicherte und ihm damit auch die Möglichkeit des Abschlusses des Vertrags von San Stefano bot. Nußland schien am Ziel seiner Wünsche zu sein; es sollte einen Teil Armeniens, Kars, Batum und Bajesid nnd in Europa die nördliche Donau- mündung erhalten: die Dobrudscha aber sollte an Rumänien abgetreten, Serbien und Montenegro für unabhängig erklärt nnd endlich ein autonomes Fürsten­tum Bulgarien errichtet werden, das, von der Donan bis znm Ägüischen Meere reichend, Bulgarien und den größten Teile Rumeliens und Makedoniens um­fassen, den Nest der europäischen Türkei also in zwei Teile zerschneiden sollte.

Diese letzte Bestimmung war die wichtigste, aber auch die anstößigste. Von einer Andrassy nahestehenden Seite wurde später darüber gesagt:Der Vertrag von San Stefano war eine Verletzung alles dessen, was Rußland bei Beginn des Krieges Deutschland und Österreich-Ungarn versprochen hatte." Aber die Erkenntnis dessen Hütte Österreich-Ungarn nichts genützt, wenn sich