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Französische Justiz
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252 Französische Justiz

hat die Empfindung, daß sie mehr für das Publikum als für den Richter sprechen. Allerdings ist auch der französische Nichter dem Appell an das Ge­fühl nicht unzugänglich und läßt sich vielleicht in seinem Urteil zuweilen mehr durch Empfindungen als durch logische Schlüsse leiten. Mir ist ein Fall in Erinnerung, wo zwei Deutsche wegen Diebstähls verurteilt wurden, und wo die wenig freundliche Stimmung der französischen Nichter gegen Dentschland recht fühlbar wurde. Auch ein englischer Journalist, der mit zuhörte, faud, daß gegen die Deutschen mit ziemlich viel Voreingenommenheit Verfahren wurde. Am Schluß der Verhandlung ließ dann der Staatsanwalt zur großen Befrie­digung des Publikums den beiden Deutschen durch den Dolmetscher sagen, wenn sie stehlen wollten, sollten sie in Deutschland bleiben und hätten nicht nötig, nach Frankreich zn kommen.

Jedenfalls steht der französische Nichter den Gesetzesparagraphen sehr frei gegenüber. Insbesondre fiel mir auf, wie das Gericht die Höhe von Schaden­ersatzansprüchen glatt und schnell ohne langes Beweisverfahren nach seinem Ermessen festsetzte. Gerade in diesem Punkte können wir von den Franzosen lernen. Denn bei uns ist der Richter darin oft zu engherzig und verlangt einen genauen zahlenmäßigen Nachweis, wie er vielfach gar nicht erbracht werden kann, statt eine freie Würdigung eintreteil zu lassen.

Das gerichtliche Verfahren hat im allgemeinen sehr viel Ähnlichkeit mit dem deutschen, denn die französischen Einrichtungen haben den unsern ja auch vielfach zum Vorbild gedient. Aber es finden sich doch einige interessante Ab­weichungen. So wirkt z. B. die Staatsanwaltschaft, die bei uns im wesent­lichen nnr in Strafsachen thätig ist, in Frankreich in ausgedehnter Weise in Zivilsachen mit. Ihr steht das unbedingte Recht zu, in Zivilsachen ihre Mei­nung zn äußern, uud in vielen Fällen muß sie es thun: so bei Ablehnung von Richten:, bei Prozessen des Staats oder der Gemeinden. In solchen Fällen giebt der Staatsanwalt seine Meinung am Schluß der Verhandlung ab; nach ihm darf niemand mehr das Wort ergreifen. Hierin prägt sich noch die ursprüngliche Stellung des Staatsanwalts aus, der als Vertreter des Königs (prooursur äu roi) ein Hüter des Gesetzes war. Diese Eiurichtuug ist heutzutage offenbar veraltet, denn der Fiskus uud die Gemeinden haben ihren eignen juristischen Vertreter; aber sie bietet den Vorteil, daß der Staatsanwalt nicht einseitig wird und zugleich Ziviljurist bleibt. In Frankreich findet denn auch ein fortwährender Wechsel zwischen Nichtern und Staatscmwülten statt, wie die Persounluotizeu in den Zeitungen beweisen. Auch ist es vielfach üblich, daß der juuge Jurist seine Laufbahn bei der Staatsanwaltschaft beginnt.

Tiefgreifender sind die Abweichungen im Strafverfahren. Vor allen Dingen giebt es in Frankreich keine Schöffengerichte. Während die Übertretungen vom MAs ä<z xaix abgeurteilt werden, gehören sämtliche Vergehen zur Zuständigkeit des aus drei Juristen gebildeten tribuiml oorrsotionnsl. Ob diese Einrichtung wünschenswert ist, kann zweifelhaft sein. Denn die Schöffengerichte haben sich bei uns im allgemeinen bewährt. Auch die gesamte Zeitrichtnng geht dahin, daß sich die Laien an der Rechtsprechung beteiligen. Ich erinnere nur an die Ge­werbegerichte, Kammern für Handelssachen, Jnnungsschiedsgerichte usw. In