Die wirtschaftliche Lage Rußlands
nser Interesse wird durch den Zusammentritt von Reichstag und Zolltnrifkommission iu erhöhtem Grade auf die Länder gelenkt, mit denen uns handelspolitische Beziehungen verbinden. Da unter diesen unser östlicher Grenznachbar für die zu erneuernden Handelsverträge in erster Reihe iu Betracht kommt, ist es Pflicht der öffentlichen Meinung, soweit sie ans die deutsche Politik und Volkswirtschaft einen berechtigten Einfluß ausüben will, sich mit der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage Rußlands bekannt zu machen, um beurteilen zn können, wie weit Man bei eiuem künftigen Vertrage seinen eignen wirtschaftlichen Vorteil wahren kann, ohne seine Anforderungen den, andern Teil gegenüber unpolitischerwcise höher zu spannen, als in dessen Leistungsfähigkeit liegt. Daß diese, das wirtschaftliche Rüstzeug unsers Nachbarn für einen etwa in Frage kommenden Zoll- kanflikt, nicht so hoch ist, daß wir mit Besorgnis dem spannenden Augenblick entgegenzusehen brauchten, wo dnrch die Erneuerung des Handelsvertrags der Grundstein für ein weiteres Dezennium unsrer wirtschaftliche,? Entwicklung gelegt werden soll, dafür will nachstehende Betrachtung den Beweis erbringen.
Die Finanzen
Die Gesaiutwirtschaftslnge eines Landes findet allgemein ihren Ausdruck Ul seinen Staatsfinanzen und seiner Kreditfähigkeit. Wenn man aber auch bei Nnßlaud ohne weiteres einen Schluß von seinen Stantshaushaltungszahlen, wie sie vom Finanzminister von Witte veröffentlicht werden, ans seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ziehen wollte, würde man stark irre gehn. Rein finanzpolitisch betrachtet ist ja ein Fortschritt in der Finanzlage des russische» Staates nicht zn bestreiken. Die Konversion der Staatsschulden aus 5- und ^/s Prozentigen in 4-nnd 3^ prozentige, die allmähliche Verstaatlichung der Eisenbahnen, der erfolgreiche Kampf gegen die Nnbelspeknlation, die zur Durchführung der Währnngsrefvrm nötige Anhäufung eines Goldschatzes, die gänzliche Tilgung der „schwebenden Schuld," die 1888 noch über Milliarde Nubel betrug, uud endlich die Einführung der Gvldwähruug und damit die Hebung nnd Festigung des russische» Staatskredits das siud etwa die Grenzbotcu I V 1902 8