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Preußische Rirchenvolitik vor hundert Iahren
Kasuistik, etwas Mathematik und Physik; mit einem Worte, die Schulen waren so beschaffen wie in dem übrigen katholischen Europa." Bekanntlich hatte Friedrich II. die päpstliche Bulle von 1773, die den Jesuitenorden aufhob, iu seinen Staaten nicht verkündigen lassen, weil er in Ermangelung andrer Schulen zum Unterricht seiner katholischen Unterthanen die Jesuiten für uuentbehrlich hielt, und auch nachdem der König im Jahr 1777 die Aufhebung des Ordens genehmigt hatte, ließ er ihn unter dem Namen „Priester des Schuliustituts" und als Weltgeistliche fortbestehn. Ein Jmmediatbericht des Ministers für Schlesien, Grafen Hoym, vom März 1799 schildert die Mängel dieser zurückgebliebnen Jesuitenschulen und empfiehlt ciue durchgreifende Verstaatlichung der Schul- anstalten, dabei namentlich eine Erweiterung der bis dahin nur für Theologen bestimmten Universität Breslau. Die sclbstzufriedne Sprache der Aufklärung, die in den amtlichen Schriftstücken dieser Zeit herrscht, mag heutzutage mauch- mal ein überlegnes Lächeln hervorrufen, aber man bekommt doch alle Achtung vor der Thätigkeit des altpreußischen Beamtentums, das eiu solches Rohmaterial zu bearbeiten, unter den schwierigsten Verhältnissen fremdartige Landesteile einzugliedern, aus wahrhaft chaotischen Zuständen gleichartige Staatseinrichtuugen „im Geiste der Zeit" zu schaffe» hatte.
Für die Besorgung der Geschäfte mit der Kurie war eii? Resident in Rom, damals in der Person Wilhelm Uhdens. Der Papst selbst war bis zum Konkordat von 1801 im Exil, aber er hatte Bevollmächtigte in Rom zurückgelassen, die päpstliche Bnllen, Vreven usw. ausfertigten und vom jedesmaligen Aufenthaltsort Pius VII. datierten, auch wenn keine Verbindung mit ihm vorhanden war. Die preußischen Bischöfe wünschten damals von der Kurie eine Erweiterung ihrer Befugnisse, namentlich in Ehesachen, größere Vollmacht für die Dispensation von den kanonischen Verwandtschaftsverbvten. Der Grund dieses Begehrens war die Erfahrung, daß viele Katholiken, die langen Umwege über Rom scheuend, sich kurzweg vou protestantischen Geistlichen trauen ließen. Das war vom Standpunkt der Toleranz kein Übel, und Uhden unterstützte deshalb keineswegs das Begehren der Bischöfe; er hatte nichts an der bisherigen Übung auszusetzen und sprach die Hoffnung aus, „daß durch solch weise und unthätige Toleranz die rauhen Scheidewände der verschiednen Ne- ligionssekten immer mehr zerstört, besonders die isolierten Katholiken den übrigen Unterthanen E. K. Majestät näher gebracht, dadurch Moralität (wovon sie der Vernunft und Herz erstickende Katholizismus abführt) unter ihnen befördert und sie alle insgesamt zn einem einstimmenden Staatskörper immer mehr zusammenschmelzen werden." Optimistische Hosfnnngen, recht im Geiste des achtzehnten Jahrhunderts, aber durch deu wirklichen Gang der Dinge gründlich zu Schanden gemacht! Übrigens erkannte auch die Regierung den Übelstand der umständlichen Verwendungen in Rom nn und war nicht geneigt, dem Wuusch der Bischöse nach erweiterten Dispensationsbefugnissen entgegcn- zntreten; mir so mehr schärfte sie ein, daß Bischöfen oder Katholiken überhaupt ein unmittelbarer Verkehr mit der Kurie nicht zustehe; alle Anliegen wnrden vielmehr auf deu ordnungsmäßigen Weg durch das Kabinettsministerium verwiesen. Der Papst selbst aber verhielt sich zn dem Gesuch um Erweiterung