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Die wohnungs- und Bodenpolitik in Großberlin
großstädtische Bau- und Grundstückspekulation unterstützt haben — leider auch den Ausschreitungen einer verderblichen und unmoralischen Übcrspelulation einen verhängnisvollen, zum Teil sogar verbrecherischen Vorschub geleistet haben. Aber daß die riesige Wertsteigerung des Grund und Bodens auch nur hauptsächlich eine Folge der Spekulation überhaupt oder ihrer Unterstützung durch die Hypothekenbanken, durch das Baurecht und die Verwaltungspraxis gewesen sein soll, das konnte Voigt niemals beweisen, und er hat es deshalb auch nicht mit klaren Worten behauptet. Bezeichnenderweise hat er dem wirklichen Grunde der Wertsteigerung, nämlich dem „fast ununterbrochneu glänzenden Aufschwung des ganzen Wirtschaftslebens und der starken Bevölkerungsvermehrung" in dem mitgeteilten Satze die Rolle einer ziemlich harmlos uud nebensächlich aussehenden Begleiterscheinung zugewiesen. Und er ist deshalb nicht ganz ohne Schuld, wenn die, die sich auf seine exakte stati- stisch-archivalische Forschung und Beweisführung so zuversichtlich berufen, jetzt sagen: Voigt hat ja festgestellt, daß die Spekulation, allein in zehn Jahren und allein in den Vororten von Berlin, den Grundwert um eine Milliarde Mark in die Höhe getrieben hat, die nun die armen Arbeiter in unerschwinglichen Wohnungsmieten verzinsen müssen, sodaß sie, aus dem herrlichen Jungbrunnen an der Oder und der Weichsel nach Berlin gelockt, an Leib und Seele verkümmern. Deshalb weg mit der Gruudstückspekulation, weg mit der steige- rungsfühigen großstädtischen Grundrente, deshalb weg aber auch mit dem „individualistischen" Privateigentum an Grund und Bodeu und der ganzen privatwirtschaftlichen Befriedigung des Wohnbedürfnifses!
Es ist auch ganz sicher, daß die wirklich unmoralische und verbrecherische Spekulation dank der außergewöhnlich langen Prosperitätsperiode — denn eigentlich ist seit den siebziger Jahren den Berliner Grundstücks- und Woh- nungsspekulanteu kein gehöriger Krach in die Glieder gefahren — auch ganz außergewöhnlich hohe Gewinne in die Tasche gesteckt und auch vor dem Zivilrichter wie dem Strafrichter in Sicherheit gebracht hat. Aber wie hoch diese Summen sind, und wie weit sie gerade die Wohnung des armen Mannes belasten, wer kann das einschätzen? Auch das steht fest, daß die Grundstückspekulanten darauf ausgegangen sind, auch vielfach in der Lage waren, Einflüsse in ihrem Interesse in der kommunalen Selbstverwaltung geltend zn machen. Aber auch hier wird man darüber, ob und wieweit nuM llcies an irgend einer verantwortlichen Stelle vorgelegen hat, nur mit der allergrößten Reserve urteilen können. Die leitenden Berufsbeamten der Stadt Berlin und die Staatsbehörden sind sicher in dieser Beziehung über jeden Verdacht erhaben. Sehr verdienstlich ist es ferner, daß Voigt scharf den in der Feuerversicherung eingerissenen Mißbrauch übermüßiger Taxen mit darauf fußender Überversicherung bloßstellt, was auch Bcmmert kürzlich in den Grenzbotcn gebührend gerügt hat. Hoffentlich wird diesem Unfug ein für allemal ein Riegel vorgeschoben werden, am besten durch ein staatliches Taxamt, mit dessen Einrichtung schleunigst vorgegangen werden sollte.