Beitrag 
Vom litterarischen Jung-Elsaß
Seite
433
Einzelbild herunterladen
 

vom litterarischen Zung.Llsaß

433

Nach ruhiger und reiflicher Betrachtung kann mcm sich leider dem Eindruck nicht verschließen, und das ist eben das Eigentümliche an diesen Bestrebungen, daß hier im wesentlichen ganz andre Triebkräfte thätig sind.

Die Gruppe, die sich unter der Leitung des Direktors Alexander Heßler zum allsonntäglichen Theaterspiel im großen Saale derNeunion des Arts" zusammengethau hat, besteht ihrem Kerne nach aus den städtisch-elsüsstschen Elementen, die unter sich meist französisch sprechen oder doch das gelungneEl- süsfer Ditsch," mit zahllosen sranzösischen Brocken und Satzteilen, das in unsern Witzblättern gelegentlich zu heitern Scherzen Stoff giebt: eine Mundart, deren wesentlicher Bestandteil geradezu die Vermischung mit französischen Halbsüßen uud mit städtischen Wendungen ist, eine »erkünstelte, verdorbne, verstädterte Mundart. Daran ist nicht zu rütteln; und die Vertreter dieser Bewegung könnten das eine zu ihrer Verteidigung ins Feld führen: aber so sprechen doch nun einmaldie Straßburger,"die Elsässer," worauf man ihnen sofort wieder antworten könnte: Ja, so sprecht in der That ihr, und so sprechen zahlreiche Elsässer, aber so sollte nicht die Kunst durchweg und an und für sich sprechen dürfen, uud ihr solltet nicht gerade in solcher allerdings leider drollig wirkenden Behandlung unsrer verfranzöselteu Mundart eure witzigen Wirkungen suchen! Dies ist der eine Punkt; aber die Sache geht viel tiefer: diese Lokaldichter sind im ganzen auch dem Gemüt nach verstädtert. Bei aller Volkspoesie ist es in erster Reihe das tiefe, reine, ursprüngliche Gemüt, was uns so in den einfachsten Worten zu Herzen spricht. Das Gemüt, das uns in Schmerz und Mitleid, in Liebesweh und Abschiednehmen ebenso er­greift, wie es uns in heitern Stunden durch keruigen, aber nie verletzenden Humor oder durch treuherzige Schalkhaftigkeit entzückt. Wie herrlich reich ist die Volkspoesie! Wie eindringlich, um an die Größten zu erinnern, etwa an Homer, das Nibelungenlied oder auch an Heliand! Selbst Shakespeare könnte hier herangezogen werden oder unser Hans Sachs. Ihr Grundton ist das tiefe Gemüt, das herzliche oder eindringlich-ernste innerliche Mitleiden uud Mitfreuen, Mitweinen und Mitlachen. Es ist das ein Vorzug sogar noch höherer Art; es ist hier mit dem tiefen Mitempfinden zugleich noch eine sittlich­reife Gabe der Abschätzung, der Gerechtigkeit verbunden, die das bunte Spiel in Harmonie auskliugen läßt. Denn dieMoral" hinten in Hans Sachsens Schwank ist durchaus keine Mode, sondern ebenso organisch und notwendig wie die frischen Schlußworte der Shakespearischen Tragödien oder die schalk- haft-versöhnenden Epiloge seiner Lustspiele.

Diesem echteu Humor, zu dem viel Gemütsreichtum gehört, steht nun aber die Komik durchaus schroff gegenüber. Die Komik, diese Tochter des Zirkus, des Tingeltangels und mancher Stammtische, greift nicht in die Seele, sie wendet sich an das Zwerchfell eines unterhaltungslustigen und verflachten Publikums. Der Handlungsreisende ist unter Umständen einer ihrer ge-

Grenzboten II 1899 W