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Der goldne Engel : Erzählung :
(Fortsetzung)
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Der goldne Lngel

Hciare fielen ihm ins Gesicht, quälende Hitze stieg ihm in Augen und Ohren, und die Kehle wurde trocken, als müsse er in kürzester Frist auf Leben nnd Tod ein Zauberwort sprechen, das er vergessen hatte.

Aber was drängte ihn denn? War der Tag nicht lang, viel langer, als seine Zeichenarbeit verlangte? Er würde es finden! wenn es nötig war mit Geduld und Ausdauer. Er uahm die Fehde mit Nothnagel auf, koste es, was es wolle; sein Vater durfte nicht im Grabe gekränkt werden.

Als Line kam, um den Bruder zu Tische zu rufen, saß er am Mitteltisch und machte kindliche Versuche mit den beweglichen Reifen. Bei ihrem Anblick sprang er auf und gab ihr Nvthnagels Fehdebrief.

Liue las ohne Überraschung uud nickte ernsthaft dazu. Recht so, nun haben wir neben dem Gespenst auch noch einen Prozeß im Hans.

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Tiefe Stille lag über dem Kegelschnb, obwohl mir der schweigsamste seiner Bewohner davon gegangen war; noch hielt der Abschied den Lebendigen den Mund zu, und die Krankheit drüben in der Apotheke, deren Hoffenster allnächtlich hell blieben, dämpfte die notwendige Rede zum Flüstern.

Nothnngel geht drauf, sagten die alten Weiber der Nachbarschaft. Städel holt ihn nach. Und die freien Geister von Senkenberg setzten hinzu: Er hat sich beim Gewitter uud beim Begräbnis den Knacks geholt; seht, Kinder, das kommt davon! Laßt eure Httnde vou thörichten Erfindungen. Die Alten haben sich nicht umsonst das Märcheu vom Ikarus ausgedacht. Allemal schmelzen dem Tollkühnen, der zn hoch hinauf will, die wächsernen Flügel.

Wenigstens die Sorge um den Prozeß wurde Line bald los; ehe noch die Ernte begann, ließ der alte Nothnngel die Hand vou beiden goldnen Engeln, und Fräulein Jenny, dieGott sei Dank" mündig war, warf ihr Geld nicht für ein Luftschiff auf die Gasse.

Aber sie kam am Tage nach dem Begräbnis durch die neue Gangthür, die von Ackermanns Seite keiner verschlossen hatte, und trat in eiuem Trauerkleide nach dem neusten Modenblatt bei dem hübschen Menschen, dem dummen Menschen ein.

Sein erstaunter Blick verwirrte sie ein wenig, in halber Verlegenheit begann sie: Ich wollte Ihnen nur sagen, Herr Charles, daß ich nicht daran deuke, um den goldnen Engel zu prozessieren. Ich trete Ihnen alle Rechte ab und wünsche Jhneu, daß er recht bald wieder fliegt. Dann nehmen Sie mich einmal mit hinauf, nicht wahr? Ja! uud was ich noch sagen wollte: wir sind doch nun beide ver­waist, sollten wir nicht wieder gute Nachbarschaft halte»?

Sie hatte Karl Städel mit mancher Pause Gelegenheit zur Einrede gegeben, ohne daß er sie benutzt hätte, jetzt mußte er nnn aber doch wohl antworten.

Ich danke schön, Fräuleiu Nothnagel, begann er schwerfällig, ich nehme das mit dem Luftschiff au, denn ich halte es für unser Recht, aber im übrigen wird wohl alles beim alten bleiben. Wir zwei Geschwister brauchen unsern ganzen Tag, wenn wir über das Erbteil Herr werden wollen, das uns geblieben ist: Schulden und ein flügellahmer Engel. Ihr Goldner steht fest nnd sieht behaglich auf den Marktplatz hinab mit runden, satten Bäckchen wir passen schlecht zusammen.

Du dummer Mensch, ich hätte dich zehnmal satt gemacht, dachte die hübsche Jenny, als sie die nene Gcmgthür zweimal hinter sich abschloß und obendrein riegelte. Mit diesen Städels war sie nun fertig.

Herr Ferdinand Frisch stand auf dem Kränterbodcn noch an derselben Stelle