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Erinnerungen an Friedrichsruh
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Erinnerungen an Friedrichsruh

er sagt:Nein, noch nicht, ich bin heute bei Stimmung, mich noch weiter zu unterhalten; Bucher will auch nur auf sein Zimmer, um dort wieder die halbe Nacht zu arbeite», aber das soll er nicht." Der Geheimrat setzt sich also ge­lassen wieder auf sein Sofa; die Fürstin, die auch den Kopf erhoben hatte, schlummert vor ihrer Spirituslampe weiter, und der Fürst führt sort über alle möglichen Dinge zu plaudern. Die Handelsverträge bringen ihn auf Österreich, dessen wirtschaftliche Verhältnisse er ungünstig beurteilt; schließlich kommt er auf Rußland zu sprechen, das er ja aus eigner Erfahrung genügend kennen gelernt hatte. Außer einigen pikanten Anekdoten über den Fürsten Gortschakow erzählte er auch die iu seinen Erinnerungen wiedergegebne Ge­schichte von dem Hirschtalg, der längere Zeit hindurch jährlich mit einem Pud (etwa 33 Pfund) von der Kaiserlich russischen Hofküche in Rechnung gebracht wurde, nachdem sich zu Zeiten Kaiser Nikolaus I. der damalige Prinz Wilhelm von Preußen einmal ein erbsengroßes Stück zum Einrciben einer durchgerittncn Hautstelle hatte geben lassen. Es mochte fast zwölf Uhr sein, als mir der Geheimrat zuflüsterte:Wenn wir ihn jetzt nicht in das Bett kriegen, dann schläft er überhaupt nicht." Ich stand also trotz nochmaligen Widerspruchs auf, um mich zu verabschieden, da ich am andern Morgen mit dem Schnell­zug abreisen müßte. Der Fürst gab Befehl, auf dem Bahnhof Bescheid zu sagen, daß der Schnellzug angehalten würde.Sehen Sie, sagte er dann mit liebenswürdigem Lächeln, soviel von meiner frühern Macht hat man mir noch gelassen, daß ich für meine Gäste die sonst hier dnrchfahrendcn Züge halten lassen darf; vergessen Sie auch nicht, sich eine Flasche Wein mitzunehmen, ich bin ein erfahrner Reisender und kann Ihnen sagen, daß es unterwegs nichts besseres giebt als einen guten Trunk."

An diesem Abend dachte ich nicht an Schlafen, nnd da auch Bucher keine Müdigkeit fühlte, so gingen wir auf sein Zimmer, um uus noch weiter zu unterhalten. Der alte Herr war wieder sehr lebhaft und sagte, daß er den Fürsten lange nicht so gut aufgelegt gesehen habe, wie diesen Abend. Auf meine Frage nach dem Grund seiner eignen Schweigsamkeit antwortete er:Ich wollte nicht dazwischen reden, Sie sollten ihn allein genießen." Auf dem Schreibtisch des gemütlichen und ganz für die Bequemlichkeit eingerichteten Zimmers lageu ungeheure Aktenstöße, die mich veranlaßten, den Gehcimrat zu ermähnen, er möge nicht zu viel arbeiten. Dadurch kamen wir auf seine Thätigkeit überhaupt zu sprechen, und während er sonst jede Unterhaltung über die sogenannten Bismarckischen Memoiren knrz abgebrochen hatte, erzählte er mir an diesem Abend alles nähere über die Entstehung dieses Werks und die Art und Weise der Bearbeitung. Was ich darüber erfahren habe, will ich hier kurz folgen lassen, weil es vielleicht nach dem Erscheinen derGedanken und Erinnerungen" für viele von Interesse sein wird.

Als sich im März 1890 die Krisis immer mehr zugespitzt hatte, bat der