Englands Bnndnisfäln'gkeit
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Während die Bataillone in Indien nnd in den Kolonien immer in Kriegsbereitschaft sind und keinen Mangel an wirklicher Kriegsübung haben, blüht den Offizieren in der Heimat das Vergnügen, für ihre Kameraden draußen Rekruten auszubilden. Die ältern Offiziere, die noch aus der Zeit vor der Reform von 1870 stammen, haben sich schwer an dieses System gewöhnt und loben noch heute die gute alte Zeit. Die junge Generation dagegen hat sich darin eingelebt und erkennt die Vorzüge der kurzen Dienstzeit an. Freilich, den preußischen Leutnant macht uus, wie Bismarck gesagt hat, keiner nach. Der englische Leutnaut giebt sich so wenig wie möglich mit seinen Leuten ab, nnd sobald er seinen Dienst hinter sich hat, vertauscht er die Uuiform mit Zivilkleidnng. Es fehlt ihm so an Fühlung mit den Mannschaften, und erst wenn eine kleine Gehorsamverweigeruug eintritt, merkt er, daß etwas faul war im Staate Dänemark. Diese abgesonderte und erhabne Stellung des Offizierkorps rührt noch aus der Zeit, die noch gar uicht weit zurückliegt, wo das Heer sich aus der Hefe und dem Abschaum des Volkes zusammensetzte, und das Prügeln als unentbehrliches Mittel der Mannszncht galt. Jetzt ist zwar die moralische Verfassnng der Soldaten unvergleichlich besser; aber es sind doch nur die untern Schichten, die dem Heere Rekruten liefern. Bismarcks Söhne zogen als gemeine Dragoner nach Frankreich. Ein Sohn Lord Salisburys als Gemeiner ist einfach undenkbar, uud eher würde die Welt untergehen, als daß ein Sprosse aus dem Hause Cecil sich, wie von Graf Wilhelm Bismarck berichtet wird, im Felde dem löblichen Geschäfte des Schweinctreibens hiugäbe. (Siehe Busch, Bismarck und seine Leute I, 126.) Das moralische Rückgrat, das unsre Soldaten durch die Beimischuug der gebildeten Stände haben, geht also dein englischen Heere schon von vornherein nb. In den kleinen Kriegen mit barbarischen Völkern mag es mich nicht so nötig sein. Da ist der tierische Mut ausreichend. Aber in eiuem großen Kriege mit einem zivilisirten Gegner, der gleich gute oder gar bessere Waffen führt, wo es weniger auf persönliche Tapferkeit in der Erregung der Schlacht, als auf die Fähigkeit ankommt, ermüdende Märsche aushalten zu können, bedarf es auch eines tiefen Pflichtgefühls, das nicht ans dem tierischen Mute abgeleitet werden kann.
Man muß es jedoch den englischen Offizieren lassen, daß sie ans dem Material, mit dem sie zn thun haben, soviel machen, als erwartet werden kann, und es ist wahrlich keine Aufgabe, um die man sie beneiden könnte. Sobald die von der Straße aufgeleseneu Burscheu an Reinlichkeit und Ordnung gewöhnt worden sind, müssen die besten abgegeben werden, um deu Abgang draußen zu decken, ohne daß Man Gelegenheit gehabt hätte, sie auch in großer» taktischen Verbänden zn führe», besonders da das jährliche Manöver, das in Deutschland eine alte Einrichtung ist, m England noch eine neue Erfindung ist. Nach einem Versuche, der im vergangnen Herbste bei Aruudel in Snssex durch das Entgegenkommen einiger Großgrundbesitzer möglich gemacht worden war, hat man dieses Jahr das erste Manöver auf euglischem Boden gesehen. Die einzige Feldübung, die den Truppen des Lagers von Aldershot bisher vergönnt war, beschränkte sich auf einen großen Exerzier- und Paradeplatz, ""f dem Offiziere wie Mannschaften jedes Saudkoru bei Namen kannten. Wenn dns Ungenügende einer solchen Ausbildung nicht längst anerkannt gewesen wäre, die Erfahrungen des Manövers hätten es bewiesen.
Die Garden, die in ihrer Masse in England stehen und anch fürder stehen werden, sind dem fortwährenden Abgebe» ausgebildeter Leute uicht unterworfen. Aber was feldmäßige Übnng betrifft, sind sie nicht besser daran als die Linientruppen. Als im vergangnen Jahre längere Übungsinärsche unternommen wnrden, Grenzboten IV 1898 81