Litteratur
Adolf Philippi hat seiner an vielen feinen und selbständigen Beobachtungen reichen Schilderung der Kunst der Renaissance in Italien schnell das minder glänzende, aber für uus Deutsche anziehendere Seitenstück folgen lassen: Die Kunst des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts in Dentschlaud und den Niederlanden, die zweite in der Reihe der von ihm unternommneu „Kunstgeschichtlichen Einzeldarstellungen," (Leipzig, E. A. Seemann, 1398.) Wenn wir diesen Band, von dem bis jetzt die beiden ersten Dritteile (das fünfzehnte Jahrhundert uud die deutsche Kunst in ihrer Blütezeit) erschienen sind, anziehender für uns als die beiden ersten nennen, so sprechen wir damit freilich nur eine persönliche Empfindung, zugleich aber eine Hoffnung aus. Wir wissen sehr wohl, daß vielen unsrer Landslente, auch den Kuustfreuudeu, die sich auf ihre Neiseerinuerungen und ihr dadurch verfeinertes Verständnis etwas zu gute thun, Michelangelo, Raffael uud Tizian viel vertrauter sind und vielleicht auch ihrem Herzen näher stehen als Dürer, Holbein und Burgkmair. Das sollte aber von Rechts und Gefühls wegen nicht sein, und darin Wandel zu schaffe» möge Philippis Buch helfen, wenn der Verfasser auch in seiner gleich vorurteilslosen Liebe für alles Echte und Wahre in der Kunst dieses Besondre nicht gerade beabsichtigt haben mag. Einen solchen Eindruck macht aber seine Darstellung, indem sie unablässig auf das Eigue der nordischeil Künstler hinweist, auf das, was sie von den Italienern trennt und trennen muß, und die sogenannte „Renaissance" immer wieder als einen fremden Tropfen in ihrem Blute ablehnt. Die Richtschnur für seine Betrachtungen, die wiederum auch deu Kundigen durch die Selbständigkeit und die überzeugende Kraft des Urteils vielfach überraschen, giebt er im Anfang des zweiten Buches. Was er hier über das Auftreten der Renaissance in Augsburg und das Verhalten der einzelnen Künste zu der neuen Erscheinung sagt, gilt so ziemlich für ganz Deutschland uud für die Niederlande. Zuerst kommt die Malerei, dann die Plastik und zuletzt die Architektur, die in Philippis Schätzung jedoch Wohl etwas zu kurz kommt. Wenn wir ihm auch darin beipflichten müssen, daß in der nordischen Kunst des fünfzehnten und sech- zehuteu Jahrhunderts „eine neue Architektur so gut wie ganz" fehlt, so missen wir doch in einem Gesamtbilde der deutschen Kunst des sechzehnten Jahrhunderts ungern eine wenn auch nur kurze Würdigung der hervorragendsten Schöpfungen der Baukunst. Wir hätten sie gern von dem Verfasser gelesen, der gewiß mich hier die eigentümliche Art seiner Beurteilung des Zusammenhangs zwischen dem Volkstum und seiuer Kunst, zwischen den Bedingungen des Lebens und der Bethätigung der geistigen. Kräfte zur Geltung gebracht hätte.
Aber diesem Vorwurf, der übrigens keiner ist, sondern das Gegenteil davon sein soll, hat Philippi schon selbst in seiner Einleitung begegnet, wo er auf gewisse Beurteilungen seiner „Kunst der Renaissance in Italien" anspielt. Er wollte eben keine vollständige Kunstgeschichte für Fachleute, und die es werden wollen, geben, sondern nur eine Anleitung für gebildete Menschen, die Kunstwerke iu einer bestimmten Art, nämlich im Zusammenhange mit der Geschichte ihrer Zeit, zu betrachten uud zu verstehen. Es will nns trotzdem dünken, als ob die Fachleute mauches aus seiner Darstellung, so selbstverständlich sich diese auch giebt, uud so wenig cm- sprnchsvoll sie auch auftritt, lernen könnten. Zuerst etwas Allgemeiues, Philippis Abneigung gegen alle „Kunstphrasen" und sein Streben nach Einfachheit nnd Sachlichkeit der Darstellung, das freilich iu der neusten Kunstlitteratur in geringer Schätzung zu stehen scheint. Philippi hat selbst kürzlich an dieser Stelle den dnnkeln Phrasenschwulst eiues der jüngern Kunsthistoriker, des Engländers Berensvn, seines Nimbus entkleidet. Dann ist von Philippi auch manches Besondre zu lernen, so