Am (Lnde des Jahrhunderts
an schreibt und redet seit Jahren soviel von dem zu Ende gehenden Jahrhundert, daß in sehr vielen Menschen sicherlich dadurch die Vorstellung erweckt wird, als stünden für diesen Zeitpunkt besondre Dinge in Aussicht. Vor dem Ende des ersten Jahrtausends unsrer Zeitrechnung wurden allerdings, wie uns berichtet wird, zahlreiche Menschen krank oder verrückt aus Angst und Erwartung. Allmählich könnten wir aber wissen, daß die bedeutungsvollsten Wendungen eigentlich gerade nicht am Schluß der Jahrhunderte eingetreten sind. Sie bestehen z. B. für unser neunzehntes in den Ereignissen von 1805 bis 1813 und in denen von 1864 bis 1871, und dieses alles — das politische Leben muß als Grundlage der übrigen Entwicklung vorangestellt werden — ist doch ein so bedeutender Inhalt an Veränderungen für ein einziges Jahrhundert, daß das unsre wahrscheinlich, wenn uns unsre Dichter oder Maler nicht noch besondre Überraschungen zugedacht haben, ganz einfach, alltäglich und bürgerlich abschließen wird. Bis dahin sind noch einige Jahre, und es werden noch viele Bücher geschrieben werden, die sich mit dem Schluß des Jahrhunderts beschäftigen, sodasz wir unsre Überschrift für die Abteilung beibehalten können. Wir finden die Formulirung nicht zutreffend, aber das Publikum hat sie nun einmal gemacht oder angenommen. Geradezu häßlich klingt aber „Am Sterbelager eines Jahrhunderts" für unsre Ohren, und wir wundern uns. es als Titel gebraucht zu finden von einem Schriftsteller, der sich auf Seite 355 seines Buches mit Recht über die „Fülle von Geschmacklosigkeit" entsetzt, die sich in den absonderlichen Titeln unsrer modernen Dichter und Litteraten knndgiebt. Der völlig bedeutungslose Worthumbug wird dadurch ja noch zu einer besonders rührseligen Feierlichkeit in die Höhe ftaffirt, „Blicke eines freien Denkers aus der Zeit in die Zeit" heißt der Untertitel dieses Buches, worin Professor vr. Ludwig Büchner, Verfasser von „Kraft und Stoff" usw. (Gießeu, E. Roth) eine nach zwölf Abteilungen geordnete Übersicht über den Inhalt unsers Jahrhunderts giebt. Das achtzehnte war ja das litterarische, das unsre ist das naturwissenschaftliche; welcher Art wird das zwanzigste sein? fragen die Menschen. Der Verfasser drückt sich etwas anders aus. Ihm ist das achtzehnte Jahrhundert das der Aufklärung uud Befreiung, das neunzehnte das der Wissenschaft und der großen dadurch