Die deutsche» Aolonisten an der Wolga
517
Gemeinde- oder Kirchenvermögen usw. beigesteuert hat, doch die Überzeugung, daß alles, was in der Gemeinde vorhanden ist, Gemeinde- oder Kirchengelder, Gebäude, Felder, Wülder usw. auch sein persönliches Eigentum sei, über das er, unter Umständen in Verbindung mit einem hinreichenden Haufen Gleichgesinnter, ohne weiteres verfügen könne. Und der Haufe hat auch von dem Recht, über das Gemeindevermögen ganz nach Belieben zn verfügen, solange uugenirt Gebrauch gemacht, als ihm die bestehenden Gesetze die Möglichkeit verschafften. Er verkaufte und vertrank, ohne sich nur um die Proteste der andern zu kümmern, ebenso die Getreidebestünde im Gemeindemagcizin, die für Notstandsjahre als eisernes Kapital dienen sollten, wie das Saatgetreide; es wurden Schulde» auf Gemeiuderechnung gemacht, daß noch Generationen zu zahlen haben werden, wenn sie die Folgen der leichtsinnigen Wirtschaft ihrer Väter beseitigen wollen.
Als in den Jahren 1391 und 1892 während der Notstandszeit die Masse die gesammelten Gaben nicht in die Hand erhielt, und Maßregeln getroffen wurden, jeden Mißbrauch des Haufens mit den eingegangnen Gaben zu verhindern, machte er natürlich den größten Lärm. Seine Anmaßung ging soweit, daß die Leute deu Mitgliedern der Notstandskomitees, dnrch die überhaupt erst Unterstützungen herbeigeschafft worden waren, das Recht bestritten, Bestimmungen über die Verwendung der Gaben zu treffen oder sie nach den Bestimmungen der Geber zu verwenden. Es wurde frech behauptet, daß niemand ein Recht hätte, mit „ihrem" Gelde zu wirtschaften, daß sie schon selber wüßten, was sie damit zu machen hätten. Da sich Gemeindevorstünde weigerten, die Forderung des herrschenden Haufens zu erfüllen, das noch vorhandne Gemeindeeigentum zu versetzen und das Geld auf die Zahl der Köpfe zu verteilen, das — wie immer — in wenig Tagen vertrunken worden würe, kam es zu offnem Aufstande, der durch Militär niedergeschlagen werden mußte.
Bei den russischen Bauern wurde, solange die Leibeigenschaft dauerte, noch einigermaßen Ordnung gehalten, da es nötigenfalls Hiebe setzte, wenn das Volk durchaus nicht arbeiten wollte; seitdem aber derartiges nicht mehr zu befürchten war, wurde die Zahl derer, die das Betteln bequemer fanden als das Arbeiten, mit jedem Jahre größer. Und ebenso war es bei den Wolgakolonisten. In früherer Zeit galt das Betteln unter ihnen immer noch als eine Schande; seit der Verleihung der Selbstverwaltung aber gab es immer mehr Leute, die das Betteln als ein ebenso ehrsames Handwerk wie jedes andre betrachteten. Man nimmt ja nur, was die andern freiwillig geben, und das der Gemeinde zugeteilte Land trägt natürlich genug, um den Faulenzer mit den Seinen dnrchzubringen. Auf Besserung ist nicht zu rechnen, ehe den Leuten zum Bewußtsein gebracht worden ist, daß Faulheit und Liederlichkeit nicht weiter darauf zu rechnen haben, auf Rechnung andrer erhalten und durchgefüttert zu werden. Aber es wird noch lauge Zeit vergehen, ehe das erreicht