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Deutschlands Seemacht
trachten, das Wenige, was wir haben und haben können, festzuhalten nnd auszubauen. Große Dinge stehen in der Weltpolitik bevor; enger als jemals sind Rußland und Frankreich gegen England verbündet, und so wenig sympathisch uns die französische Börsenrepublik oder der russische Absolutismus sein mag, so ist es dvch nicht unsre Sache, nach solchen Abneigungen unsre eigne Politik zu bestimmen und unsre Bündnisse zu wählen oder gar fremden Völkern unsre eignen politischen Ideale mit der selbstgefälligen Unfehlbarkeit eines längst über- wundnen Naturrechts vorhalten zu wollen; unsre Interessen sind unsre Richtschnur, und sie drängen uns unwiderstehlich ans die Seite dieser beiden Mächte.
Dazu aber bedarf es einer Kriegsflotte nicht nur für die unmittelbare Küstenverteidigung, sondern für die Beherrschung der See. „Hätten wir den Absolutismus, wir hätten längst die Flotte," sagten letzthin die Preußischen Jahrbücher. Ein bitteres, aber leider berechtigtes Wort! Denn eine langjährige Erfahrung hat bestätigt, daß in Deutschland parlamentarische Körperschaften kühnen neuen Gedanken immer nur schwer folgen oder ihnen wohl gar die ärgsten Hindernisse bereiten, weil bei uns Parteisucht uud doktrinäre Rechthaberei das Nationalgefühl überwuchern. Der Zollverein hat bei den Kammern der meisten deutschen Staaten den stärksten Widerspruch gefunden, er war nur durchzuführen, weil Preußen selbst nicht dnrch das Dazwischenreden einer eignen Volksvertretung gestört wurde; und die preußische Heercsreform Wilhelms I. ist vvn der Mehrheit des Abgeordnetenhauses Jahre hindurch aufs erbittertste bekämpft worden. Diese beiden praktischen Grundlagen der Einheit Deutschlands sind also unter dem lauten populären Widerspruch zu stände gekommen, keineswegs durch Volksinitiative. Damit sich das bei der unentbehrlichen Grundlage unsrer Weltstellung, einer starken Kriegsflotte, nicht wiederhole, dazu ist es nötig, daß sich immer weitere Kreise der Nation von dieser Notwendigkeit überzeugen.
Diesem Bedürfnis kommt ein neues, treffliches Werk vvn Georg Wisli- cenus entgegen/') dem Verfasfer des Textes zu dem im vorigen Jahre erschienenen Prachtwerke „Unsre Kriegsmarine." Das schön ausgestattete Bnch besteht aus zwei Hauptteilen, einem historischen und einem beschreibenden. Der erste Abschnitt „Seemacht entscheidet Völkergeschicke" giebt eine Übersicht über die Geschichte der Seemächte aller Zeiten vvn den Phönikiern und Ägyptern an bis auf die Gegenwart, wvbei überall nachgewiesen wird, wie sehr von der „Seegeltung" die Machtstellung eines Volkes abhängig gewesen ist, insbesondre, wie die großen modernen Mächte Spanien, Portugal. Holland uud England ihre
Deutschlands Seemacht sonst und jetzt. Nebst einem Überblick über die Geschichte der Seefahrt aller Völker. Von Georg Wislieenus, Kapitnnleutmmt a. D,, mit fünfundsechzig Bildern vom Marinemaler Willy Stöwer, Leipzig, Fr, Wilh. Grunom, 18»l>, 208 S. (Gebunden 10 Mark,)