Maßgebliches und Unmaßgebliches
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schaffende Thätigkeit entmutigt werde. Daran knüpfte sich eine längere Polemik in den Hamburger Blättern, und die hat dann Ein Hamburger Kaufmann, um eine Abhandlung vermehrt, uuter dem Titel: Ist der Handelsstand produktiv? bei Georg Freund iu Leipzig herausgegeben.
Daß „eine freie Entwicklung des Handels die erste Grundlage für das Blühen und Gedeihen" jedes Staates sei, glauben wir allerdings auch nicht, daß sie aber Lebensbedingung für den Handelsstand ist, liegt ans der Hand. Daß freilich der Meusch essen muß, um leben zu können, haben die alten Phönizier und die mittelalterlichen Venetianer so gut gewußt wie jedermann, nnd wissen wahrscheinlich auch die heutigen Hamburger; aber ebenso gut wissen sie, daß sie ohne Handel nicht reich sein und keinen reichen Staat bilden, ja überhaupt nicht in Hamburg, iu Venedig lebe» könnten, weil eben auf dem Pflaster uud auf dem Wasser nichts wächst, daß sie dagegen als Kaufleute sehr gut und sogar üppig leben können, ohne selbst Landwirtschaft zu treiben. Was Wunder, wenn in der Hitze des heutigen Jnter- cssenstreites der Bürger eines Handelsstaats sich zu Verallgemeinerungen fortreißen läßt und die Lebensbedingungen des Staats überhaupt mit den Lebensbedingnngen des Handelsstaats verwechselt! Was Wunder auch, daß es gerade eiu Kaufmann ist, der solcher Übertreibung entgegentritt nnd dabei in die entgegengesetzte Übertreibung verfallt! Kanu doch keine menschliche Einrichtung dem Verhängnis entgehen, daß sie sich bis zu eiuem Punkte entwickelt, wo Vernunft Unsinn, Wohlthat Plage wird; das ist natürlich cmch beim Handel hie uud da der Fall, und die Kauflente müssen es ja am besten wissen, wo nnd wann sie anfangen, überflüssig und schädlich zu werden. Aber die praktischen Fragen, nm die es sich im verflossenen Sommer gehandelt hat, sind durch die akademischen Erörterungen der vorliegenden Broschüre nicht geklärt nnd noch viel weniger beantwortet worden. Die fraglichen Gesetzentwürfe, die seitdem Gesetze geworden sind, zerfallen in zwei Grnppen. Die Gesetze der ersten Gruppe sollen dem unlautern Wettbewerb steuern und dem seßhaften Handwerker und kleinen Kaufmann die Konkurrenz der Hausirer, der ausivärtigen Großkaufleute uud der Konsumvereine, überhaupt des Großkapitals, vom Leibe halten; die andern gesetzlichen Bestimmungen sollen die Auswüchse des Börscnhnndels beschneiden, ansgesprochnermaßen vorzugsweise zu dem Zweck, die Getrcidepreise zu erhöhe». Es fragt sich mm, ob nicht die Vorteile, die man dem kleinen ansässigen Gewerbe- und Handelsstande zugedacht hat, durch allerlei Nachteile mehr als aufgewogen werden, nnd ob die Börseurcform ihren Zweck erfüllen wird, wobei einstweilen dahingestellt bleiben mag, ob Erhöhung der Getrcidepreise überhaupt ein erstrebenswertes Ziel ist und zu den Aufgabeu des Staatsmanns gehört. Da ja nun die Erfahrung der nächsten Jahre diese beiden Fragen beantworten muß, so wäre es nnnütz, sich jetzt noch darüber zu streiten. Aber daß in diesem Streite der ganze Handelsstnnd immer wieder als ein Schmarotzergewächs der öffentlichen Verachtung preisgegeben nnd dadurch der blöd- sinuige Haß der Klasse» und Berufsstände gegen einander geschürt wird, das halten wir für ein Unglück, nnd darum erachteu wir uns für verpflichtet, den in der vorliegenden Broschüre entwickelten Ansichten entgegenzutreten. Wir haben das Agrariertum sehr scharf bekämpft, aber niemals ein Wort gesagt, das geeignet wäre, deu Bauer, deu Rittergutsbesitzer in der Meinung des Publikums herabzusetzen; wir haben stets erklärt, daß wir wünschen, die Landwirtschaft möchte die Grundlage unsers Staatsivesens bleiben, und haben bedauert, daß uus, wenn es so fortgeht, Übervölkerung zwingen wird, uns zum reiuen Industrie- und Handelsstaate fortzueutwickeln; eben weil wir überzeugt siud, daß die agrarische