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Decadencehelden
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Litteratur

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Spiritismus hinüberziehen, lernt auch bald durch Tisch offenbaruugen und Geister­klopfen seinen Schutzgeist, ein junges orientalisches Mädchen Themus kennen und hält es für notwendig, einen neuen Weg einzuschlageu. Leisinger von der Morgen­fackel sagt ihm zwar, daß dieModerne" nicht so einseitig sei, daß sie nicht auch Transcendentale und Ncrvenphantasten unter sich duldete:Je verrückter, das heißt je mehr neue Stimmungen, Sensationen, menschliche Dokumente, desto besser!", er läßt sich später sogar zum Kassirer des Vereins der Modernen machen, aber er jagt von Stuud an der höchsten Wahrheit und den Wundervffenbarungen der Tische, der Klopfgeister, der Medieu nach, er läßt sich eine neue Weltanschauung, einen neuen Weltzusammenhang verkündigen und vernimmtin tiefer, wortloser Erschütterung," daß er zum Propheten Gottes, zum fünften und letzten (nach Moses, Bnddha, Jesus uud Luther) bestimmt sei. Er merkt nicht, daß alle Prüfungen, die er mit sich anstellt, ebenso viel Selbsttäuschungen sind, er starrt wie entrückt nach dem Doppelkranze des Dichters und Propheten, er veröffentlicht das letzte Testament" und trifft natürlich auf Widerstand, Hohn und Spott, das Volk strömt nicht herbei, die Masseil werden von keinem tiefern Empfinden gemahnt, bei seinem öffentlichen Auftreten in einer großen Versammlung erregt der Prophet nur Gelächter, erscheint als Schwindler und Hochstapler.Haltlos brach der gigantische Bau seiner Überzeugungen in sich selber zusammen, in ein abscheuliches Chaos widerlicher Selbsttänschung und eigner Schuld, und aus den Trümmern seiner Erwartungen und Rechte richteten sich die Gespenster der bevorstehenden Knsfcu- übergabe (er hat während des Prophetenfiebers die Kasse der Modernen verbraucht), des Kossakwechsels (!), der Saalmiete, der Plakatrechnnng, der Privatschulden und der gerichtlichen Verfolgung plötzlich zu brutaler, unmittelbar drohender Alltags- wirklichkeit auf. Uud kein Ausweg! keiner! Bor der Welt war er jetzt uur ein gewissenloser Lump, ein frivoler, eingebildeter Lasse, bestenfalls ein Narr, über den man lachte, auf den man mit Fingern zeigte." Heinrich Steiubach wählt statt desfen deu Tod in den Wellen eines Flusses, von dem es gleichgiltig ist, ob er Spree oder Jsar heißt.

Vergleicht man diese drei Helden der jüngsten Erzähluugslitteratur mit ein­ander und fragt, wo die gemeinsame Wnrzel dieser Trostlosigkeit, dieser gewalt­same», durch uud durch unfruchtbaren Scheiugeuialität zu suchen sei, so ist die Antwort nicht schwer. Der Wahn, daß nnr der des Lebens wert sei, der sich selbst für den Mittelpunkt der Welt, wenigstens einer Welt halten darf, der Draug, nicht die eigne Kraft redlich zu eutwickeln, sondern sie dnrch einen gewaltigen An­spruch von vornherein über jede Entwicklnng hinanszustellen, die Furcht, im andern Falle und bei jeder Selbstbescheidung im Kampf aller gegen alle erbarmnngslos unter die Füße getreten zu werden, sie zeitigen diese Art von Helden. Und insofern wäre es freilich zu verstehen, wenn sich mehr als einer in ihnen wiedererkennte.

Litteratur

Was ist die Seele? Ein Professor pflegte seine Vorlesungen über Völker­recht mit den Worten einzuleiten: Meine Herren, wir sind in der eigentümlichen Lage, einen Gegenstand behandeln zu sollen, der nicht existirt. So kvnute heute