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Die Macht des Unvernünftigen
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Die Macht des Unvernünftigen

ic Menschheit sollte billigerweise allmählich immer etwas klüger und verständiger werden, und in gewisser Hinsicht ist auch ein solcher Fortschritt, wenn wir auf frühere Zeiten zurückblicken, bemerkbar. Andrerseits aber scheint in einigen Kulturländern und nicht am wenigsten bei uns im deutschen Reich ein Rückschritt eingetreten zu sein, den man am Ende des Jahrhunderts nicht hätte erwarten sollen, da er zu der Verbreitung von Aufklärung und Bildung im Gegensatz steht. Das Nationalgefühl, dessen Erstarken so berechtigt war, ist teilweise in nationalen Hochmut und unverständigen Fremdenhaß ausgeartet. Staats- mäunische Besonnenheit hat sich dieser Strömung zu erwehren, wenn nicht von ihr dem Vaterlande Gefahr drohen soll. Während aber auf auswärtigem Gebiete für diese Gefahren wenigstens ein Verständnis vorhanden ist, während man den Übermut zu dämpfen sucht, so ist leider ans dem Gebiete der innern Politik der Unvernunft und Leidenschaft zu viel Nachsicht erwiesen, ja es ist ihr eine Herrschaft über die Gesetzgebung eingeräumt worden, die sie nimmer hätte einnehmen dürfen. Dabei ist es eigentümlich, daß sich gerade auf einem Gebiete, das neuerdings viel mehr als früher und mit einer gewissen Vorliebe von der Wissenschaft bearbeitet wird, dem volkswirtschaftlichen, die Unvernunft breit macht. Sie ist auch bemüht, mit ncuzeitlicheu Waffen zu kämpfen: sie putzt ihre Behauptungen in einem wissenschaftlichen Gewände heraus. Aber während sie sich den Anschein giebt, durch tiefsinnige Forschungen zu ihren Schlüssen gelangt zu sein, sind in Wahrheit ihre Behauptungen oft so widersinnig, daß ein wenig gesunder Menschenverstand mehr wert ist, als diese angeblich so scharfsinnige Beweisführnng. Die Wissenschaft wird in den Dienst des Parteigeistes gezwungen; sie muß herausfinden, was dem Partei­geist zu seinen Zwecken dienlich erscheint. So scheut man sich denn nicht, auf Grenzboten M 1L96 1