Die arischen Religionen und das Christentum
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Nudra, und das schlimme Gezücht kleiner, böser Dämonen macht sich nicht breit. Daß in vorvedischer Zeit auch Menschenopfer vorgekommen seien, davon hat der Verfasser nur eine einzige Spur gefunden; es handelt sich dabei übrigens nicht um ein eigentliches Opfer, sondern um den abergläubischen Brauch, durch Einmauerung der Häupter von fünf „Opfertieren" (Mensch, Roß, Rind, Schafbock, Ziegenbock) dem Hausbau Festigkeit zu verleihen. Nationaler Liebling ist Jndra, der Gewittergott, ein ganz germanisch anmutender, etwas ungeschlachter und humorvoller Haudegen, der sich gern einen Rausch trinkt, und der Liebesabenteuer nicht verschmäht, eine gemütliche Hant, mit der auf gutem Fuß zu stehen für einen rechtschaffnen Kerl gar nicht schwer ist. Die Vertreter der höhern und reinern Sittlichkeit, Varuna*) mit den Adityas und Mitra, sind nach Oldenberg semitischen und zwar chaldäischen Ursprungs. Varuna uud Mitra waren ursprünglich Mond und Sonne, die Adityas Planeten. Aber w der vedischen Zeit sind sie schon so weit vergeistigt, daß die Sonne nur noch als Auge Mitras und Varunas erscheint; einmal sind Sonne und Mond die beiden Augen Varunas; im allgemeinen aber erscheint Vnruna als der Herr der Gestirne; sie gehorchen seinen Befehlen. Diese ihre ursprüngliche Bedeutung weist auf Chaldäa hin, die Wiege des Sterndienstes uud der Astronomie, und auch ihr ethischer Charakter läßt, wie wenigstens Oldenberg meint, auf semitischen Ursprnng schließen, da die Semiten früher als die Arier zur Ethisirung der Naturgötter fortgeschritten seien. Diese entlehnten Götter halten die körperliche und die sittliche Weltordnung aufrecht, die in den vedischen Liedern Rita genannt wird. Das ethische Bewußtsein, das, meint Oldenberg, aus dem Gesellschaftsleben entspringt — zunächst in der Form des Bewußtseins von Recht und Unrecht — hat ursprünglich mit der Religion nichts zu thun. „Das Bild der Götter trägt ethische Züge nur oberflächlich an sich." Soweit sie menschenähnlich gedacht werden, schreibt man ihnen unter andern menschlichen Eigenschaften natürlich auch moralische zu, aber eben mcht bloß Tugenden, sondern auch Laster. Diese ethischen Eigenschaften interessiren jedoch den Verehrer zunächst nnr insofern, als er davon Vorteil zu erwarten oder Schaden zu fürchteu hat; die Hauptsache ist für ihn die Macht des Gottes und seine Gunst. Ein andres Verhältnis aber zum Sittlichen, als das, das der Gott als Gott hat, kann das Verhältnis sein, das ihm kraft seines individuellen Charakters zukommt. Die Gestirngötter sind ethische Götter geworden,' weil sie als Träger der festen und unveränderlichen Ordnung am Himmel von vornherein Ordnung schaffende Wesen sind. So konnte denn auch der Begriff der Sünde, als des Bruches der sittlichen Weltordnung, und
') Das Wort Varuna hängt nicht mit 0-^«/^^ zusammen, wie man anfänglich geglaubt hat. Bei einer andern Gelegenheit macht Oldenberg aus die Irrtümer aufmerksam, zu denen sich die Forscher eine Zeit lang durch Gleichklänge von Namen haben verleiten lassen; gerade solche Götter sind identisch, deren Namen gar nicht svrachvcrwandt sind, wie Jndra und Thor. Grcnzboten II 1896 M