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Unberechtigte und berechtigte Ansländerei
hier?" Wenn sich Engländer, Franzosen und Amerikaner, sobald sie zu uns kommen, gleichwohl im Umgang mit uns nicht des Deutschen, sondern ihrer Muttersprache bedienen oder zu bedienen suchen, so wissen wir, was wir von ihrem Anstand und ihrer Höflichkeit zu halten haben, und bilden uns uuscr Urteil darüber, zumal wenn wir wissen, daß sie des Deutschen mächtig sind. Doch dürfen wir mit ihnen nicht zu streng ins Gericht gehen, aus dem einfachen Grunde, weil die meisten, die zu uns kommen, der deutschen Sprache eben nicht mächtig sind, ihre Erlernung ihncu sehr große Schwierigkeiten macht. Der Mangel an Sprachkenntuissen bei der überwiegenden Masse der Franzosen , Engländer und Amerikaner ist nicht auf mangelhaste Schulbildung zurückzuführen — die läßt auch bei uns in Bezug auf moderue Sprachen, besonders an den höhern Knaben- und Mädchenschulen, viel zu wünschen übrig —, sondern auf ihre geringere Fähigkeit in der Erlernung fremder Sprachen. Die Fähigkeit der Völker in der Erlernung fremder Sprachen nimmt vom Osten nach dem Westen, von Nußland und den Kulturstaateu im Südosten Europas, Bulgarien, Rumänien und Griechenland, über Polen, Deutschland, Frankreich, England bis nach Amerika, immer mehr ab. Diese Erscheinung ist durchaus nicht wunderbar; es liegt in der Natnr der Sache, daß das Volk, das die schwierigste Sprache spricht, die weniger schwierigen Sprachen andrer Völker leicht erlernt. Daher lernt der Russe fast spielend Polnisch, Deutsch, Französisch nnd Englisch; der Deutsche, dessen Sprache au Schwierigkeit weit hinter dem Russischen und Polnischen zurückbleibt, leicht Französisch und Englisch, während ihm Polnisch und Russisch sehr schwer fallen. Beim Franzosen kommt zu seiner geringen Fähigkeit in der Erlernung fremder Sprachen noch hinzu, daß er es als Sohn der sscanciö rmticm, deren Sprache ehemals den Erdball beherrschte, überhaupt für unter seiner Würde hält, andre, besonders die nichtromanischen Sprachen zu erlernen. Rechnet ihm aber das jemand als nachahmenswertes Zeichen von Selbstachtung oder als lobenswerte Bethätigung seines Nativnalgefühls an? Nein, er wird überall im Ausland für einen eingebildeten Ignoranten gehalten, und das mit Recht.
Ein weiterer Grund, daß sich der Deutsche im Auslande, auch wenn er es nicht aus materiellen Gründen nötig hat, lieber der betreffenden Landessprache bedient, Sitten und Gebräuche der Eingebornen annimmt, liegt in dem mangelhaften Schutz, der ihm als Deutschem bisher zu Gebote stand und noch steht. Die vorhaudnen Neichskousulate im Ausland sind zu gering an Zahl im Verhältnis zu der ungeheuern Anzahl deutscher Auswandrer, die Ausübung ihrer Thätigkeit oft zu lmreaukratisch, sodnß wer einmal mit ihnen zu thun gehabt hat, selten Lust verspürt, sich ein zweitesmal an sie zuwende». Dagegen sehe'man, wie England und Amerika für ihre Landeskinder sorgen! Kein Plätzchen, wo ein paar Amerikaner oder Engländer sitzen, ist zu klein: gleich ist auch ein amtlicher Vertreter ihrer Regierung da, der ihre Interessen wahrnimmt, und wenn es sich auch nur um Spiel- und Sportplätze handelte. Das Bewußtsein, diese Leute zu stetem Schutze hinter sich zu wissen, schafft auch selbstbewußtes Auftreten und stärkt das Nationalgefühl gewaltig. Nun, Deutschland ist noch jung und kann und wird noch vieles auf diesem Gebiete thun, um jedem einzelnen seiner Söhne und dadurch sich selbst überall im Ausland Ansehen und Achtung zu verschaffen.
Wenn schließlich der eine oder andre von uns in der Heimat Fremden, aufgefordert oder aus freien Stücken, in deren Sprache Auskunft erteilt, sich