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Staatshilfe oder Selbsthilfe?
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Staatshilfe oder Selbsthilfe?

fragen, woher die bedrängte Lage und die wirtschaftliche Unzufriedenheit sv vieler Angehörigen des Bauernstandes kommt. Wenn den Bauernfamilien die vermögcnerhciltende Kraft abhanden gekommen ist, von der vermögensammelnden Kraft gar nicht zu reden, so giebt es kein Mittel äußerer Unterstützung, das diesem Mangel abhelfen konnte. Die Staatshilfe, selbst wenn sie wirksam wäre, bedeutet doch gegenüber den durch das Anwachsen der Bancrnfamilien sich ergebenden Bedürfnissen nicht mehr als ein Tropfen auf den hcißeu Stein.

Von dem Standpunkt aus, daß allen Menschen ein möglichst hohes Glück auf Staatskosten verschafft werden sollte, könnte ebensogut die Forderung eines allgemeinen Rechts auf Eheschließung gestellt werden, als die eines Rechts ans persönliches Wohlbefinden. Denn der Wunsch, ein eignes Heim zn gründen und sich an ein Wesen des andern Geschlechts anzuschließen, ist in den meisten Menschen ebenso lebhaft wie das Verlangen nach persönlichem Wohlbefinden. Auch scheinen die fortgeschrittensten unter unsern Menschheitsbeglückern kein Bedenken zu tragen, aus dem in ihrer Phantasie vorhcindnen reichen Schatz dieses Recht ebenso leichtherzig zu bewilligen, wie die andern von ihnen in Aussicht gestellten Wohlthaten. Eine nüchterne Betrachtung freilich lehrt, daß gerade in diesem Punkte die harte Wirklichkeit jenen wohlgemeinteil Planen die größten Schwierigkeiten entgegenstellt. Thatsächlich wird heute von sehr vielen unter den Gebildeten wegen Unzulänglichkeit des Einkommens für den Unter­halt einer Familie auf eheliches Glück verzichtet, und es ist unvermeidlich, daß mit dem Wachsen der Lebensansprüchc auch die Eheschließung erschwert wird. Als weiterer erschwerender Umstand kommt hinzu, daß bei der Geistesart des Gebildeten schwerer der Entschluß zum Eingehen der Ehe gefaßt wird, schwerer gegenseitige Neignng Mann und Weib verbindet.

Hier soll auf die Bevölkerungsfrage nicht eingegangen werden. Aber es kann nicht gut bestritten werden, daß unter gleichen Daseinsbedingungen eine Familie mit einfachen Lebensansprüchen leichter ihr Fortkommen findet und sich zufrieden fühlt als eine solche, die höhere Ansprüche stellt. Werden diese Ansprüche erhoben, sv ist cs die Aufgabe der Betreffenden selbst, für ihre Be- friedignng zu sorgen. Ähnliche Heiratsgewohnheiten uud Anschauungen über das Heiraten, wie die geschilderten des einfachen Bauernstandes, finden wir auch bei Geld- und Blutsaristvkraten. Ob sie lobenswert sind, darum handelt cs sich hier nicht, sondern darum, ob es berechtigt ist, das Bewußtsein der Selbstverantwvrtlichkeit in dem Menschen zu schwächen. Bei den Gebildeten pflegt dieses Bewußtsein in höherm Grade vorhanden zu sein als bei den niedern Volksklasseu. Die Begriffe von dem, was zum Unterhalt einer Familie nötig sei, sind beim Eingehen der Ehe thatsächlich bestimmend und wirken viel­fach als ein Abhaltungsgrund. Wenn dies Hemmnis des Glückseligkeitsideals als ein Unrecht betrachtet wird, nun so ist cs ein Unrecht, das sich der Ein-