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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Jcihrcn aus der katholischen Kirche aus, um zu heiraten. Nuu stehen im österreichischen Staate die römischen Satzungen über Unlösbarkeit der Ehe und die Untilgbarkeit der Priesterweihe in Kraft. Deshalb kommt es dort nicht selten vor, daß geschiedne Eheleute, um sich anderweitig verbinden zu können, und Priester, die vom Cölibat befreit sein wollen, ihre Staatsangehörigkeit aufgeben. So mußte auch Breutauv sein Amt niederlegen und auswandern. Er blieb jedoch als Fremder und Privntdozent in Wien, wie die jetzigen Mitteilungen verraten: in der Hoffnuug, das Ministerium werde ihm nach einiger Zeit, das Vorgefallne ignorirend, abermals eine Professur verleihen. Daß ein Unterrichtsminister, heiße er, wie er wolle, sich zu einer solchen Spiegelfechterei uicht hergeben konnte, ist selbstverständlich. Man kann das Gesetz beklagen und angreifen, aber solange es nicht aufgehoben ist, bleibt es doch eben Gesetz, uud „freiheitliche Anschauungen" können dabei ebenso wenig in Betracht kommen wie der Umstand, daß Brentano inzwischen Witwer geworden ist.
Notleidende Landwirtschaft. Eine Hamburger Zeitung brachte kürzlich folgenden Bericht: „Eine große Bauernhochzeit wurde dieser Tage in Hohenkrug gefeiert. In feierlichem Auszüge wurde die Braut aus Simander geholt. Nach der Trcmuug iu der Kirche bewegte sich der imposante Hochzeitszug teils zu Wagen, teils zu Fuß uach Hohenkrug, wo das junge Paar mit Musik empfangen wurde. An der Hochzeit nahmen 350 Personen teil, die sämtlich zwei Tage lang im Hanse verpflegt wurden. Geschlachtet wurden 3 Ochsen, 3 Schweine, 6 Kälber und 50 Hühner; an Bier war eingekauft 16 Tounen, au Wein 400 Flaschen." Außer dieser Beschreibung haben nordwestdentsche Zeitungen im letzten Sommer noch zwei Berichte über ebenso große Bauernhochzeiten gebracht, die zwischen Elbe uud Weser gefeiert worden sind. Dieser Landstrich gehört sicher nicht zu den fruchtbarsten Deutschlands, uud doch sind die dortigen freien Geestbauern fähig, solche Feste zu feiern! Man sieht daraus, daß der Bauer bei fleißigem und für gewöhnlich sparsamem Leben noch immer recht gut sein Auskommen hat.
Ideal uud Leben. In eiuer ostdeutschen Stadt wird nächstens das Direktorat einer Realschule frei, da der gegenwärtige Inhaber an eine andre Anstalt berufen worden ist. Während sich nun die Lehrer so oft ihres Idealismus rühmen, können es hier manche gar nicht erwarten, bis jene Wahl vom Minister bestätigt ist, sondern, ganz verändert durch des Lebens bedingenden Drang, rennen sie schon jetzt in Frack und Cylinder durch die Straßen der Stadt, pochen heute an diese, morgen an jene Pforte, wo ein Stadtrat wohnt, uud verschonen keinen. Merkwürdig ist es cmch, worauf manche ihre Hoffnung gründen. Da ist einer Vorsitzender des „Humbvldtvcreins für Volksbilduug" und hat neulich sogar ein Hoch auf den „großen" Virchow ausbringen dürfen, ein andrer verkehrt im Hause des Stadt- schulrats, uud ein dritter hat einen Gymnasialdirektor zum Schwiegervater. Bei so glänzenden Empfehlungen wird dem Magistrat natürlich die Wahl schwer werden. Vielleicht fällt er gar in die Rohheit früherer Zeiten zurück, wo man auf Tüchtigkeit im Amte nnd Charakterfestigkeit sah. Und die giebt es doch wohl noch? O ja, es giebt sie schon noch, aber sie drängt sich nicht vor.