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Die Lehrerinnenfrage in Preußen
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Die Lehreriimenfrage i» Preußen

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Von Rednern und Rednerinnen bemühte sich, das Maß der in einer solchen Prüfung zu stellenden Anforderungen mehr und mehr zu beschränken, und es war nicht erfreulich zu sehen je weiter sie mit der Minderung der zn stellenden Forderungen gingen, desto lauterer Beifall wurde ihnen gezollt. Schließlich wurde der Antrag doch durchgebracht, daß sich die Lehrerinnen, die in den obern Klassen unterrichten wollten, einer zweiten Prüfung zu unter­ziehen hätten. Und damit war, das ist sehr bezeichnend, der Bruch zwischen den städtische» und den Privatschulen fertig. Die Berliner Lehrerinnen er­kannten zum größten Teile jenen Beschluß nicht au und suchten auf audern Wegen zu ihrem Ziele zu gelangen.

Das richtigste und würdigste wäre es uun gewesen, wenn sich die Damen schon damals auf eigne Hand zu Kursen vereinigt und sich die fehlenden Kenntnisse in diesem oder jenem Fach angeeignet hätten. Statt dessen setzten sie eine ziemlich wüste Agitation gegen die städtischen Schulen und gegen die Beschlüsse der Versammlungen ins Werk. Sie beklagten sich, daß man die Mädchenschulen nach dem Muster der höhern Knabenschulen einrichten wolle damals wenigstens, denn heute hat sich der Wind vollständig gedreht, und dieselben Damen, die vor zwanzig Jahren solche Furcht vor der Methode der Gymnasien zur Schau trugen, schwärmen gegenwärtig für das Mädchen- gymuasium! Weil sie den Anforderungen, den der Unterricht an die Lehrer in den obern Klassen stellte, nicht gewachsen waren, klagten sie unter kräftigem Beifall der seminaristisch gebildeten Lehrer die Schule an, daß sie sich zu hohe Ziele stecke, und verlangten, daß die Ziele ans den frühern Standpunkt der kleinen tändelnden Privatschule heruntergezogen würden. Kam man ihnen mit der Forderung, daß sie sich selbst weiter bilden müßten, so antworteten sie, daß ihnen die Wege zu gründlichen Kenntnissen und zu einer höhern Bildung ver­rammelt seien.

In einem Vortrag über die Fraucufrage ist gesagt worden, es sei auf­fallend, wie wenig Sinn die Frauen, selbst die Lehrerinnen, dafür hätten, sich eine ordentliche Handbibliothek anzuschaffen. Wenn man bedenkt, daß viele Lehrerinnen einen Gehalt von 2000 Mark beziehen, so wiegt dieser Vorwurf doppelt schwer. Und er ist uicht unbegründet. Wieviele Lehrerinnen der französischen Sprache z. B. mögen sich wohl die zum gründlichen Verständnis der französischen Grammatik notwendigen Kenntisse der lateinischen angeeignet haben und die Werke von Diez, Tobler, Gastvn Paris oder auch nur eine Encyklopädie der romanischen Sprachen besitzen? Die Quelleu der Wissen­schaft fließen für jeden, der trinken will. Selbst für den begabtesten Menschen glebt es aber keiue audre Methode, sie zu seiner Weiterbildung auszunutzen, "ls Arbeit, unausgesetzte stille Arbeit.

Die Lehrerinnen der Kölner Versammlung wollten aber schneller zu ihrem Ziele kommen. Sie wollten sich nicht der Organisation des höhern Mädchen- Grenzboten IV 1894 58