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Die Lehrerinnenfrage in Preußen
Grenzen, die ihre Lehrbefähigung vorschreibt. Ja selbst die den Lehrerinnen zu gute kommende im Jahre 1875 gegründete Pensionsanstalt ist auf die vielgeschmähten Männer der Weimarer Konferenz zurückzuführen.
Trotzdem trat die von Berlin ausgehende Agitation der Frauen immer schärfer gegen die Weimarer Beschlüsse und gegen die dadurch erreichte Einrichtung des höhern Mädchenschulwesens auf. Ju der fünften Hauptversammlung des deutschen Vereins zu Kölu 1876 kam der Gegensatz der Meinungen zum Durchbruch. Von dem Leiter einer Privatschule wurde dort folgende These aufgestellt: „Die höhere Mädchenschule bedarf zur Erfüllung ihrer Aufgabe der gemeinsamen Thätigkeit männlicher und weiblicher Lehrkräfte; auch zu dem Unterrichte in den obern Klaffen ist die Mitwirkung wissenschaftlicher Lehrerinnen unentbehrlich." Über diesen Ausdruck „unentbehrlich" brach sofort ein heftiger Kampf aus; es wurde beantragt, das Wort „unentbehrlich" durch „zulässig" zu ersetzen. Nach langem Streit entschied man sich für den Ausdruck „wünschenswert." Und dieser Ausdruck war in der That nach der damaligen Sachlage der geeignetste.
Die deutsche höhere Mädchenschule hatte sich nach dem nationalen Aufschwünge von 1866 und 1870 unter der Gunst der städtischen Behörden und der gebildeten Stände außerordentlich entwickelt. Ihr Grundsatz war: Vereinfachung und Vertiefung des Unterrichts. Die Anforderungen in den ethischen Fächer und in den fremden Sprachen waren andre geworden, aber die Lehrerinneuseminare und die Ausbildung der Lehrerinnen waren dieselben geblieben. Zwischen der kleinstädtischen Privatschule und der öffentlichen Schule einer großen Stadt war ein solcher Unterschied entstanden, daß sie, obgleich sie beide dieselbe Bezeichnung (höhere Mädchenschule) führten. doch ganz ver- schiedne Lehranstalten geworden waren. Die Leiter dieser Schulen konnten also beim besten Willen nicht den Lehrerinnen nur auf Grund ihres Seminar- zengnisses das Recht zugestehen, in den obern Klassen beschäftigt zu werden. Ein allgemeiner Grundsatz war vorläufig darüber unmöglich aufzustellen, die Entscheidung von Fall zu Fall mußte ihnen bleiben.
Die Führerinnen der Frauenbewegung stellten aber die Forderung, die Frauen sollten erst ihre Seminarkenntnisse erweitern, als eine Folge des entstehenden Brotneides und der Furcht vor dem Wettbewerb dar. Die Behauptung, daß die Lehrerinnen in den obern Klassen dieselben Kenntnisse haben müßten wie die Lehrer, wiesen sie zurück. Sie wollten sich keiner zweiten Prüfung unterwerfen. Nnr einige erklärten sich in einem schriftlichen Gutachten zu einem philosophischen Kolloquium bereit. Der Forderung, sagt Schulrat Nöldeke in seiner Schrift „Von Weimar bis Berlin" (Berlin 1888), daß eine höhere Lehranstalt wissenschaftlich gebildete Lehrkräfte haben müsse, und daß diese wissenschaftliche Bildung durch eine gründliche Prüfung festzustellen sei, konnte sich die Mehrheit nicht Wohl entziehen, allein eine Reihe