Hemitismus und Antisemitismus
in Österreich-Ungarn
ührend des Krieges um Sebastopol bezeichnete Lord John Russell den Staat Österreich, also das heutige Österreich-Ungarn, in etwas unhöflicher Ausdrucksweise als das neue gelobte Land. Nach den jüngsten Vorgängen gewinnt es den Anschein, als hielten die Auserwählten die Zeit für gekommen, sich als Herren ün Lande zu zeigen. So mancher Zeitungsartikel weckt Erinnerungen an alte Weisen, wie „Warum toben die Heiden, die Könige im Lande lehnen sich auf" u- s. w.. die aber natürlich „moderu" gesetzt sind. Der Satz, daß man nicht Gott dienen könne und dem Mammon, hat keine Geltung mehr, da ja Mammon der wahre Gott ist; die ihn anbeten, sind die „Freisinnigen, die Fortschrittlichen, die Verteidiger der Kultur uud Gesittung" gegen den Ansturm der Götzendiener. Diese Klassifikation fiel längst auf iu den Berichten über Streitigkeiten der Wiener Studenten, jetzt wird sie allgemeiner angewandt. Ist irgendwo Christ gewählt worden, der seinen Glauben ernst nimmt, so erhebt sich ein Wehgeschrei, doppelt laut, wenn er gar dem geistlichen Stande angehört. Nicht "ls ob man die Meinnngsäußernng unterdrücken wollte: beileibe nicht! man ist ja liberal nnd daher duldsam. Aber solche Meinungen sind gottlos, sollten überhaupt nicht vorhanden sein. Mail ist auch der Geistlichkeit keineswegs Kindlich gesinnt; wenn sie sich judenfreundlich zeigt, darf sie auf die ausgiebigsten Lvbsprüche rechnen. Nur die Baalspriester müßten von Rechts wegen behandelt werden, wie in den fernen schönen Zeiten, und es ist entsetzlich, daß stch die Negierungen noch so lässig zeigen, den Urteilen der hohen Presse Kraft öu geben. In Ungarn giebt es Verworfne, die der Einführung der Zivilehe "icht zujubeln, das Oberhaus erkühute sich sogar, die Vorlage zu verwerfen — thut sich denn kein Abgrund auf für diese Rotte Korah? Und in Wien — Grcnzboteu III 1394 13