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Soziale und Naturreligion
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Soziale und Naturreligion

verspricht und den Reichen die Hölle androht. Da nun diese Auffassung den damaligen Produktionsverhältnissen nicht entsprach, blieb sie unwirksam; das Christentum ließ die Sklaverei, wie sie war, und die Christen beschränkten sich darauf, das versprochne Reich, dastausendjährige," zu erwarten; das ur­sprüngliche Christentum war Chiliasmus; nicht eine Religion der Gebildeten, sondern der ungebildeten und abergläubischen Armen. Die Einführuug der griechischen Philosophie ins Christentum, zuerst durch die Gnostiker, war eine Ethnisirung von oben, wie die durch Einschleppung der Mythologie eine von unten. Lütgenau bemerkt richtig, daß die Protestanten in ihrer Polemik gegen diese Seite des Katholizismus gewöhnlich zu weit gehen, indem sie auch solche Glaubensmeinnngen und Gebräuche auf das griechisch-römische Heidentum zurückführen, die aus allgemein menschlichen Vorstellungen und Empfindungen entspringen.

Längere Zeit hindurch blieb die Kirche noch in Opposition zu den öko­nomischen Verhältnissen, wie die kommunistischen Anwandlungen mancher Kirchen­väter, die fortdauernde Wertschätzung der Armut, das Eifern gegen den Reich­tum und das kanonische Zinsverbot beweisen. Je reicher jedoch die Kirche selbst wurde, desto mehr sah sie sich auf den Kompromißweg gewiesen, auf dem sie schließlich eine Stütze des irdischen Besitzes wurde. Indem sie die Armen auf den Himmel vertröstete, hielt sie sie von Empörung ab; die jenseitigen Güter der Armen sicherten den Reichen ihren irdischen Besitz, und die aus­gleichende Gerechtigkeit, die im Jenseits waltet, ward ein Schutzwall für alle diesseitigen Ungerechtigkeiten. Dadurch verdarb es jedoch die Kirche zu guter- letzt sowohl mit den Armen wie mit den Reichen; mit den Armen, indem sie selbst als Ausbeuterin auftrat, mit den Reichen, indem sie immerhin der Aus­beutung noch einige Schranken setzte, was den Stadtbürgern um so unbequemer wurde, als sich die Gelegenheiten zur Ausbeutung um die Wende des fünf­zehnten und sechzehnten Jahrhunderts mehrten. Dazu kam, daß die Funktionen der Kirche durch die fortschreitende Kultur überflüssig wurden. Die Entscheidung für und wider die Reformation lag bei den weltlichen Interessen. In Deutsch­land hatten fast alle Klassen ein Interesse daran, die Verbindung mit dein Papsttum zu lösen. Für Italien war das Papsttum im Gegenteil ein groß­artiges Werkzeug zur Ausbeutung der übrigen christlichen Völker, und in Frankreich und Spanien hatten die Könige der Hauptsache nach schon erreicht, was die deutschen Fürsten erst erstrebten, und waren so mächtig geworden, daß sie ebenfalls daran denken konnten, das Papsttum für ihre Zwecke zu gebrauchen. Die Habsburgischen Kaiser aber bedurften des Katholizismus als eines Binde­mittels für ihre zerstreute» Besitzungen und als der ideellen Grundlage ihrer Kaisergewalt.Wenn Italien, Frankreich und Spanien- katholisch blieben, so ist dies nicht, wie man meistens thut, ihrer geistigen Rückständigkeit zuzuschreiben, sondern vielmehr ihrer hvhern ökonomischen Entwicklung. Dagegen ging der