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Die rvähnmgsfrage
Wer ein Kapital oder eine feste Rente zu fordern hat, kann diese, wenn eine Entwertung des Geldes eintritt, nicht in die Höhe schrauben. Es wird vielen noch in der Erinnerung sein, wie sehr in den sechziger Jahren alle Kapital- und Rentenbesitzer unter der Entwertung des Geldes gelitten haben. Blieben auch ihre Einkünfte dieselben, so schwand ihnen doch deren Wert unter den Händen. Wer bisher für reich galt, hatte nur noch einen mittlern Besitz. Wer bisher ein leidliches Einkommen gehabt hatte, wurde an die Grenze der Dürftigkeit gedrängt. Die Schuldner aber machten natürlich dabei gute Geschäfte. Sie bezahlten nn Kapital und Renten dem Namen nach dasselbe, der Sache nach weit weuiger.
Dieselbe Erscheinung würde auch jetzt eintreten, wenn durch Überflutung mit Silbcrgeld unser Geldbestand ins Ungeheuerliche wüchse. Nun ist aber unser Grundbesitz zum großen Teile mehr oder weniger verschuldet. Diesem verschuldeten Grundbesitz würde also durch die Eiuführung der Silberwährung der Vorteil erwachsen, daß ihm ein Teil seiner Schulden zum Nachteil der Gläubiger abgenommen würde.
Daß dieser Gesichtspunkt unsern Agrariern nicht ganz fern liegt, zeigt sich in der Thatsache, daß sie einen besondern Grund aufstellen, weshalb sie eine solche Behandlung der Gläubiger sür gerechtfertigt halten. Sie sagen: nicht das Silber ist im Preise heruntergegangen, sondern das Gold ist gestiegen; und deshalb ist es gerechtfertigt, daß die in Silber eingegangncn Schulden auch in Silber und nicht iu Gold abgetragen werden. Dieser Grund klingt auch selbst in der Begründung des oben erwähnten Gesetzentwurfs durch. Dort wird zur Rechtfertigung dafür, daß auch jetzt wieder das Verhältnis von 151/2 der einzuführenden Silberwährung zu Grunde zu legen sei, gesagt: „Für Deutschland kommt vornehmlich in Betracht, daß vor einundzwanzig Jahren beim Übergang von der Silber- zur Goldwährung alle Schuld- und Zahlungsverbindlichkeiten nach eben diesem Wertverhältnis umgerechnet worden sind. Wollte man jetzt mit Rücksicht auf den gestiegnen Goldpreis dieses Verhältnis zu Ungunsten des Silbers ändern, so würden alle ans der Zeit vor 1871 herrührenden Schulden eine beträchtliche Steigerung erfahren; dasselbe würde auch hinsichtlich der vor 1871 aufgenvmmnen Staatsschulden der Fall sein." (Der letzte Satz ist wohl hinzugefügt, um auch unsern Staatsmännern die Sache gefüllig zu machen.)
Dem gegenüber möchten wir zunächst fragen: wie verhält es sich denn mit den nach 1871 eingeganguen Schulden, deren doch auch eine ganz ansehnliche Menge vorhanden ist? Würde es auch bei diesen in Gold eingegangncn Schulden eine Gerechtigkeit sein, daß sie in minderwertigem Silber abgetragen würden? Aber auch die ganze Grundlage dieser Beweisführung ist unrichtig. Es ist völlig unhaltbar, wenn behauptet wird, das Silber habe eigentlich seinen frühern Wert behalten, und nur das Gold sei gestiegen. Das