100
Manöverbetrachtungen eines Beteiligten
litär niemand etwas, und wer es im Heere zu etwas bringen will, der muß arbeiten, tüchtig arbeiten. Werden doch in keinem Stande die, von denen mau sich nichts verspricht, so rücksichtslos ausgeschieden, wie hier.
Die sozialistischen und fortschrittlichen Zeitungen wissen bekanntlich fast jede Woche neue Schauermären zu berichten von den unglaublichsten Mißhandlungen, denen die Soldaten schutzlos preisgegeben sind. Von derartigen Quälereien ist mir nicht das geringste bekannt geworden. Eins ist allerdings wahr: geschimpft wird tüchtig im Heere. Und auch ich habe den Eindruck, daß darin zu viel gethan wird. Es ist ja ganz gewiß nicht leicht, ohne sehr entschiednes Austreteu in der kurzbemessenen Dienstzeit das aus den Leuten zu machen, was sie schließlich vorstellen sollen. Es will viel heißen, in zwei Jahren einen steifen Bauernburschen in einen flotten und gewandten Soldaten zu verwandeln. Ich meine aber doch, es müßte mit etwas weniger Aufwand von Heftigkeit auch zu erreichen sein. Die Ausbildung des militärischen Ehrgefühls ist unter den idealen Zielen des militärischen Unterrichts unbestritten eines der wichtigsten, das Ehrgefühl aber wird durch die zum Teil mehr als derben Schimpfwörter, deren sich besonders die Unteroffiziere bedieueu, sicherlich nicht gefördert, im Gegenteil empfindlich geschädigt.
Aber etwas andres ist noch schlimmer als das wüste Schimpfen, es ist die Unsauberkeit der Ausdrücke. Niemand wird von einem Soldaten die empfindsame Zartheit eines Backfischs erwarten. Der Soldatenberuf ist ein hartes Handwerk, und das drückt sich in seinem Jargon notwendigerweise ab. Ich weiß auch ganz gut, daß das unsaubre Wort noch lange nicht immer ein untrügliches Kennzeichen unsaubrer Gesinnung ist, daß gar viele, die eine unverkennbare Vorliebe für schmutzige Geschichten, schlüpfrige Anekdoten und zweideutige Wendungen habeu, sich darum doch nicht so leicht zu einer unsittlichen Handlung würden entschließen können. Aber durch die häufige Anwendung gemeiner Bilder und Vergleiche wird doch nach und nach das Gefühl abgestumpft und in rohern Naturen mit der Zeit eine Mißachtung aller höhern sittlichen Anschauuugeu erzeugt, die eine ernste Gefahr in sich schließt. Es hat bis heute als ein Vorzug unsers Volkes gegolten, das; es in seiner Gesamtheit noch nicht vergiftet sei von dem Pesthauche der Unsittlichkeit, der schon mancher Nation verderblich geworden ist. Geben wir diesen Vorzug nicht leichtsinnig preis! Gerade jetzt schließen sich hie und da ernste Männer und Frauen zu Vereinen zusammen, um sittlich Verirrte zu heben und wieder zu brauchbaren Gliedern der Gesellschaft zu macheu. Ju solcher Zeit muß auch in der Armee, die eine Schule der Nation im besten und höchsten Sinne ist und noch immer mehr werden soll, alles vermieden werden, was auf diesem so empfindlichen Gebiete nach Schlaffheit aussieht. Welche Riescnsummen geben unsre Großstädte jetzt aus, um ihre Abfallstoffe zu entsenchen und den Forderungen der Gesundheitslchre an die Reinlichkeit Genüge zu thun. Dort