Maßgebliches und Unmaßgebliches
Deutsche Kunst und Wiener Kritik. Unter der Aufschrift „Erinnernngen mi Anselm Feuerbach" ist vor kurzem iu der Frankfurter Zeitung ein Aufsatz von Dr. Albert Jlg in Wien erschienen, worin von dem Vorrecht der Tageskritik, ungründlich zu seiu, iu einer so ausgiebigen Weise Gebranch gemacht ist, daß eine Berichtigung um so gebotuer erscheint, als auch der Ton, in dem die Ausfiihruugeu gehalten sind, den: Geiste rein sachlicher Kritik wenig entspricht. Der Verfasser wendet darin unter dem Scheine der Unparteilichkeit die wohlbekannte Taktik an, mit Hilfe gelegentlich eingestreuter vager Lvbesspenden seinem Tadel eine um so eindringlichere Wirkung zn sichern, verwickelt sich aber dabei in allerlei seltsame Widersprüche, die auf seiue Logik wie auf sein Wissen ein bedenkliches Licht werfen. Er verwahrt sich feierlichst dagegen, an dem Haß des Altösterreichertums den Ein- gewnnderten gegenüber teil zu hnbeu, und führt eine Reihe von ruhmreichen Namen Fremder ans, Schwaben nnd Schweizer, Franken und Sachseil, Italiener, Franzosen uud Spa ^ der Kultur seines Heimailandes zum Segen gereicht hätten und schließlich reicher» gewordcu wären. Anders aber sei es mit
Feuerbach, des >rt" eine so vollkommen fremde gewesen sei, daß sie
ihn nie wirkt .reicher habe werdeil lassen. Wie ist uns doch? war
denn Feuerba .ourt eiu Chinese, oder war er nicht vielmehr zn Speyer
am Rhein geovren.-" Bei naherm Zuseheu stellt sich heraus, daß der Kritiker, indem er von der Stammesart Fenerbachs spricht, iu Wirklichkeit die Geistesart des Künstlers darunter versteht: die Leistungen Fenerbachs haben ihn immer kalt gelassen; die Art dieses Meisters war ihm niemals sympathisch; folglich verträgt sie sich nicht mit der eigentümlichen Stammesart des althistorischeu Österreichs, deun nach I)r. Jlg giebt es Gegensätze, die sich ihrer ganzen Art und Wesenheit nach niit diesem — wie er sich geschmackvoll ausdrückt — Lokalgernch nicht vereinbareil lassen. Als ein solcher Gegensatz gilt ihm Feuerbach: „Ein bei mancherlei Schwächen" zwar auch für ihn „uuleugbar hochbedeutsamer Künstler," „ernst, tief, geistvoll, gebildet," „von überlegnem Werte," „aber der Arme geriet krank nnd weltuutnudig, mit der Aufgabe, die Akademie zu reformiren jrefvrmiren zu sollen, schreibt der Verf.s, in das ihm völlig fremde Wien; der Sohn eines Philosophen, als Maler selber »lehr Philosoph als Maler, in der Keuschheit kleindeutscher Provinzverhältnisse aufgewachsen und nnn mit einemmale in das Babel der europäischeil Großstadt geworfeu, das er uicht verstand, nnd das ihn nicht verstand, das er verachtete, und dem er lächerlich vorkam, niit krankem Leibe und mit siecher Seele, die ihn zwangen, die angenommne Stelle alsbald wieder zu verlassen, um einsam zu sterbeil."
Wer so taktvoll ist, jemand seine unverschuldete Herkunft vorzuwerfen, sollte sich wenigstens über diese gehörig unterrichtet zeigen. Feuerbach der Sohn eineS Philosophen, als Maler selber mehr Philosoph als Maler? Herrn Dr. Jlg ist es also unbekannt, daß nicht der Philosoph Ludwig Fenerbach der Vater des Malers Feuerbach war, sondern dessen ältester Bruder, der geniale und geistvolle Archäolog« und Ästhetiker Anselm Feuerbach, der seinem Sohne brauchbareres für seine Kunst zu vererben hatte als Philosophie. Mit welchen Augen muß man überhaupt dieseil Künstler gesehen haben, um ihn philosophisch zu finde»? Die einzigen