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Bilder aus dem Universitätsleben : 4. Das Hohenzollernlied
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Bilder ans dem Universitätsleben

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Gleich im nächsten Kolleg bei Treitschke traf ich meinen Freund wieder. Er sah elend aus; seine Augen lagen nvch tiefer als sonst und blickten mich traurig an. Im Auditorium war es still wie in einer Kirche; alle sahen düster vor sich, als lastete ein Druck auf ihreu Seeleu. Endlich trat Treitschke ein. Kein Lürm erhob sich, wie das sonst als Begrüßung zu sein Pflegte. Er stand lange wortlos da und sah uns an, als wollte er sagen: Ich sehe, ihr sühlt die Kränkung, die Schande, die entsetzliche Schmach, die man uns augethan hat. Danu wollte er sprechen: mau merkte, wie es iu ihm wogte und arbeitete. Aber die Empfindungen schienen so gewaltsam hervorzubrechen, daß er die Lippen zusammenbiß und krampfhaft schluckte, als wollte er alles iu seinem Junern niederkämpfen. Dann griff er hastig nach seinem Taschen­tuch und drückte es, von innerer Erregung überwältigt, gegen die Augeu. Ich glaube, es gab keinen einzigen unter den Zuhörern, dessen Herz nicht bei diesem stummen Vorgange bis ins Innerste erbebt wäre.

Dann fand er endlich Worte und fuhr fort iu der Geschichte der Be­freiungskriege. Er warf noch einmal einen Blick zurück auf die Vorgeschichte und sprach davon, daß nichts die Seelen junger, ideal angelegter Menschen mehr läutere und kräftige als die Feuerprobe eiues tiefen patriotischen Schmerzes. Er sprach von der Schlacht bei Leipzig und schilderte den ge­waltigen Kampf mit einer Anschaulichkeit, einem. Bilderreichtum und einem Feuer, daß alle fortgerissen seinen Worten lauschten.

Und als er in feiner zündenden Weise die Episode vortrug, wo die ost- prenßlsche Landwehr allen voran das Grimmische Thor in Leipzig erstürmte und die Franzosen aus der alten deutschen Stadt hinauswarfen, da war mit einemiuale alle Beklommenheit der Herzen dahingeschwunden. Ein Gefühl innerer Befreiung uud Erhebung bemächtigte sich wieder aller Herzen, und von dem nicht mehr znrückzuhalteudeu Beifallsruf meines ostpreußischeu Freundes angesteckt, brach das ganze Auditorium in eine laute Huldigung auf den Mann ans, der, auch trotz der letzten bittern Erfahrung, nicht müde wurde, iu uns die Negeistrung für uuser Volk uud unsre Geschichte wach zu halten.

Die patriotische Stimmung schlug nach dem Attentat mächtige Wellen in der Berliner Studentenschaft. Ein Leben, eine Aufregung ging dnrch alle Geister, als wäre eine Mobilmachung befohlen, als gälte es, gegen den Erb­feind zu Felde zu ziehen. Eine großartige Huldigung mit einein Fackelzuge wurde geplant. Konservativ-monarchische Verbindungen thaten sich ans, um die Sozialdemokratie zu bekämpfen, und die christlich-soziale Bewegung, die von Stöcker unverdrossen unterhalte» wurde, drang immer tiefer und über­zeugender in die Schichten der akademischen Jugend.

Mein Freuud hätte über dieses frische, deutsch-nationale Leben aufjauchze» mögen. O, rief er aus, jetzt wird »och alles gut, jetzt wirds eine Lust zu leben! Das ist der richtige Boden sür mein Hvhenzvllernlied! Ein geistig Grenzbvtm 11 1L9L 78