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Bilder aus dem Universitätsleben : 4. Das Hohenzollernlied
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Bilder aus dein Universitätslebeu

Ich sah ihn bei diesem Vergleich etwas verwundert an. Aber er fnhr un­beirrt fort: Ganz vorn der weitrachige Löwenkopf des klassischen Altertums, ganz hinten der gekrümmte Drachenschwanz des mystisch rundbogigen Christentums, und in der Mitte die meckernde Ziege des modernen Franzosentums. So sieht unsre neuere Litteratur aus, uud der ganze Unterschied zwischen den einzelnen Dichtern besteht nach meiner Ansicht nur darin, daß bei dem einen das klassische Löwengebrüll, bei dem andern der kirchlich-romantische Drachenschwanz, bei dem dritten der geile Ziegenbock am meisten entwickelt ist. Sie lachen? O das ist bei mir grimmiger Ernst. Diese Chimäre, dieses Ungetüm rief er hastig aus muß totgeschlagen werden, uud an die Stelle dieses unnatür­lichen dreigestaltigen Geschöpfs muß ein andres Bild gesetzt werden, ich meine das natürliche, stolze und königliche Bild des deutschen Adlers, wen» Sie wollen, des preußischen Adlers! Ein deutsches Volkslied, ein deutsches Volks- epvs und Volksdrama thut uns wieder not. Da werde,? Sie mir wohl endlich Recht geben? Sind wir nicht erbärmliche Kerls/ daß wir vor diesem Stoffe stumm uud ratlos steheu, den uns die Geschichte der Hohenzollern, vor allem die Thaten unsers Kaisers bieten? Ein neues Nibelungenlied müssen wir haben, ein neues Heldenepos, worin sich uuser Volk wiederfindet mit seinen germanischen Tugenden der Mannhaftigkeit und der Treue. Uud dieses Heldenepos kann nicht anders heißen als Hohenzollernlied!

Man merkt es Ihnen au warf ich ei», daß Sie Treitschkes Vor­lesungen hören.

Treitschke spricht nur ans, was Millionen mit ihm empfinden; bedarf es da noch der Worte eines Propheten, wo wir selbst die Herrlichkeit und Größe schauen, wo wir selbst die ehrliche Begeisterung des ganze» Volks mitleben?

Als ich Abschied uahm, war es spät geworden. Das rote Haus lag jetzt still uud verlassen da. Keine Menschcnseele war auf der Flur zu seheu, uud ich wanderte in dem köstlichen Maienabend langsam zur Stadt zurück- Mein Freund hatte mir einige Episoden aus seinem Hvhenzvllernliede vor­gelesen. Eine Stelle hatte aus mich einen tiefen Eindruck gemacht, wo der Dichter das freundliche, heitere, schmerzlose Alter des ehrwürdigen Kaisers schildert und von der ungeteilten und ungetrübten Liebe sprach, die ihm das ganze deutsche Volk entgegenbrachte. Ich mußte au die großartige, mit ele­mentarer Gewalt hervorbrechende Huldigung denken, zu der das Volk am Mittage hingerissen wurde. Ich sah im Geiste deu Herrscher vor mir, wie er seiuen Blick voll unbegrenzten Vertrauens auf die Meuge richtete und freundlich, väterlich herabgrüßte. !

Am Lützowplatz stand eine Gruppe von Menschen zusammen, die ciu Flugblatt lasen und aufgeregt mit den Händen in der Luft herumfuchtelten. Ich trat hinzn und las und las mir flimmerte es vor den Augen: gegen unsern eiuundachtzigjährigen Kaiser war ein Mvrdnnschlag verübt worden!