Der Untergang der alten Welt
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die Länder waren cm sich reicher, hatten von Kriegsstürmen weniger gelitten und hatten, Italien ferner gerückt, unter dem römischen Kapitalismus weniger zu leiden.
Doch im Osten, unter Bevölkerungen von älterer und höherer Kultur, war der römische Einfluß überhaupt weit schwächer als im Westen, wo ihm unreife Völker gegenüber standen und erlagen. Wie er auf solche wirkte, läßt sich am besteu in Gallien verfolgen, dem Kernlande des romanischen Westens. Als Cäsar das große Land unterwarf, stand es etwa auf einer Kulturstufe wie Deutschland im elften Jahrhundert, d. h. einer vorgeschritten Naturalwirtschaft. Die Landwirtschaft also beherrschte das Dasein, doch gab es ein blühendes Handwerk, einen nicht unbeträchtlichen Handel, und die Städte waren besuchte Märkte. Überall herrschte ein ritterlicher Adel über eine abhängige Bevölkerung, und noch gab es ausgedehnten Gemeinbesitz. Die römischen Eroberer brachten mit ihrem Garten- und Weinbau auch ihre Rechtsanschauungen ins Land; jener Gemeinbesitz ging, wie nach 1748 der der hvchschvttischen Elans an die Edelleute, iu die Hände römischer oder keltischer Grundherren über, die ihn entweder unmittelbar durch Sklaven bewirtschaften ließen oder an ursprünglich freie Bauern (ooloni) verpachteten. So verstärkten sich außerordentlich die soziale und wirtschaftliche Machtstellung des keltischen Adels, aber die Landbevölkerung verringerte sich, da sie nach dem Verluste der Gemein- lündereien den Städten zuströmte und in städtischen Gewerben Beschäftigung suchte. Die Städte wuchsen also rasch an, aber das Platte Land entvölkerte sich, zumal da auch die Grundherren, die rasch romanisirten sogenannten Se- natorialen, es meist vorzogen, in den Städten zu lebeu, wie der bourbonische Adel des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Trotzdem gehörte Gallien unstreitig in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit zu den blühendsten Provinzen des Reichs, denn das römische Kapital und das römische Vorbild wirkten doch auch in vieler Beziehung befruchtend auf das Land, und Wohlstand und Bevölkerungsanzahl stiegen. Aber die Zustände auf dem platten Lande beunruhigten bald. Um das Zuströmen der Landbevölkerung nach den Städten zu hemmen und dem Landbau die arbeitenden Hände zu sichern, band man später die Colonen an die Scholle und siedelte, da auch das nicht genügte, seit dem dritten Jahrhundert in immer wachsender Zahl Barbaren, namentlich Germanen cm. In den Städten aber erdrückten die zahlreichen Staatsfabriken, die zunächst für das Bedürfnis des Heeres zu sorgen hatten, den privaten Gewerbefleiß durch die Sklavenarbeit. Auch die Städte gingen daher immer mehr zurück, und schließlich band der Staat auch die Söhne der Handwerker an den Beruf des Vaters. Da seit dein dritten Jahrhundert die Einfälle der Germanen durch Verwüstungen und Unterbrechung des.Verkehrs diese traurige Lage noch steigerten, so verfiel Gallien schließlich in einen Zustand dauernder sozialer Revolution: die Bagauda, der Bauernkrieg, erhob immer und immer wieder