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Staat und Kirche : geschichtsphilosophische Gedanken 16
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Slaat und Kirche

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In diesem Sinne hat auch Vismarck die Sache aufgefaßt. ,,Das Pflichtgefühl des Menschen, der sich einsam im Dunkeln ^aus Postens totschießen läßt," sagte er einmal im Jahre 1870 zu Versailles,haben die Franzosen nicht. Und das kommt doch von dem Reste von Glauben in unserm Volke, davon, daß ich weiß, daß jemand ist, der mich anch dann sieht, wenn der Leutnant mich nicht sieht." (Busch, Graf Bismarck und seine Leute, I, 209.) Bis jetzt haben ja immer noch andre Gründe verstärkend mitgewirkt! das Wohl­gefallen des eiteln Burschen und seines Mädchens am bnnten Rock, die dem Deutschen eigne Frende am Svldatenspiel, das nirgends in der Welt mit solcher Vollkommenheit betrieben wird und einen so herzbezwingenden Glanz entfaltet, durch seiue Erscheinung so erfrischt und begeistert wie in Preuße», der Kameradschaftsgeist, die aufrichtige Dankbarkeit für die Erziehungsarbeit tüchtiger und wohlwollender Offiziere und Unteroffiziere, seit 18K4 die glor­reichen Feldzugserinnerungen, die patriotischen Feste nnd Vereine. Aber unter dem Drucke der Not und von der sozialdemokratischen Agitation zer­fressen, giebt dieses Gefüge von Stützen allmählich nach und ist im Herzen von tansenden längst zusammengebrochen. Daß die Arme», wenn sie auf­gehört haben, Christen zu sein, notwendigerweise Kommunisten und Revolutionäre werde» müssen, hat Bismarck in mehrern Parlamentsredcn ausgesprochen, von denen Busch an der angeführten Stelle zwei erwähnt. In der That müßten Arme, die den Gehorsam gegen die Obrigkeit nicht mehr für eine Pflicht und die ihnen auferlegten Entbehrungen nicht für Gottes Fügung halten, geradezu blödsinnig sein, wenn sie die Bessernng ihrer Lage nicht auf gewaltsamem Wege versuchten, wo sie die Macht haben. Die Macht aber haben sie, sobald sie im Heere die Mehrzahl bilden. Wir sehen also: für einen Staat, dessen zahlreiche Arbeiterbevölkerung sich in gedrückter Lage befindet, zugleich aber mit politischen Rechtem und Pflichten ausgestattet ist, macht die Erhaltung des christlichen Glaubens eine Lebensfrage aus.

Die thatsächliche Haltung der vcrschiednen Bevölkernngsklassen gegen den Staat, wie wir sie taglich beobachten können, entspricht durchaus dem, was der Psycholog ^ priori findet. Die gläubigen Christen jener Konfessionen, denen die Religion als das höchste Gut gilt, sind gleichgiltig gegen den Staat, und in Zeiten des Konfliktes hassen sie ihn, aber sie erfüllen ihre Pflichten gegen ihn, ganz so, wie einst die Christen im römischen Reiche. So halten es die Katholiken und die gläubigen Sekten, wie Altlutheraner, Herrnhuter, Mennvniten. Gleichgiltigkeit oder Haß gelten selbstverständlich nicht dem Vaterlande oder Volke, das oft glühend geliebt wird, sondern nur dem Staate. Eine ähnliche Gesinnung beseelt die von modernen Ideen und von Grübelei noch nicht angekränkelten evangelischen Landleute, dereu Religiosität zwar dein Nullpunkte ziemlich nahe steht, die aber auch noch kein eigentliches Staats­bewußtsein zum Ersatz dafür haben; nicht dem Staate, sonder» den«