Beitrag 
Bilder aus dem Universitätsleben : 2. Die Wahlschlacht
Seite
597
Einzelbild herunterladen
 

Bilder ans dein Universitcitsleben

597

und daß das Ende der Ferien noch lange nicht der Anfang der Arbeit zu sein brauche.

Unter den Professoren wurde über diese Bummelei der Studenten wacker geschimpft. Aber abgesehen von den Gelehrten, die alle Tage eine Stunde stehend laut reden müssen, um gehörig zu verdaue», und die daher, wie der Professor Heinrich Lammert, in der lautlosen Seßhaftigkeit der Ferien ver­stimmt, griesgrämig und krank zu werden pflegen, empfand doch jeder im Grunde seines Herzens an dieser natürlich jedesmal ganz unerwarteten Ver­zögerung ein aufrichtiges Behagen. Mancher junge und mancher alte Pro­fessor wurde iu dieser herrenlosen Übergangszeit so unternehmungslustig wie die Seeleute, wenn sie auf verspätete Ladung warte» und noch einige Tage unthätig im Hase» liegen müssen.

Diesmal besonders kam die Verschiebung der Vorlesungen vielen sehr ge­legen. Die Flutwelle der Neichstagswahleu ging sehr hoch uud warf sich brandend uud schäumend auch nach der kleinen Universitätsstadt. Mau hatte Wind davon bekommen, daß die freisinnige Partei eine» systematische» Angriff auf den konservativen Wahlkreis ansznübe» beabsichtige, »nd daß sich bereits geheime Agenten auf dem Flachlande umhertrieben, um den Boden für die freisinnigen Redner empfänglich zu macheu.

Das war nicht nur von dem vieljährigeu Abgeordnete:: des Kreises, dem Grafen Bärwitz, in einer Professvrengesellschaft mit dem vornehmen Unwillen eines königstreuen Kammerherru bemerkt worden, das hatte auch, was viel wichtiger war, die Frau Laudrätiu im letzten Damenknffee den Professoren­frauen mit verständnisvoller Miene beizubringen gewußt. Es waren gerade hier Ausdrücke gefallen, wie: der alte, bewährte Uuiversitätsgeist, festes Boll­werk der konservativen Gesinnung, Augeuverbleudung des Berliner Freisinns, moderner Kulturschwindel, 1Ä8ser tmre, Isissor sllor, sittliche Verwirrung, mannhaftes Auftreten, Mut der Überzeugung, dem Verdienste seine Krone! Die beneidete Frau unterließ nicht, mit Würde uud Wohlwolleu hinzuzufügen, die Gelehrten stünden noch immer zu wenig mitten im politischen Leben; hier sei Ersatz zn finden für das, was ihnen die Pflege der Wissenschaften doch eigentlich recht spärlich bringe.

Frau Professor Henriette Lammert hatte mit Spannung gelauscht uud alle Schlngwörter dieser politischen Sibylle mit großer Begierde eingesogen. Sie war eitel und ehrgeizig und fühlte immer mit Schmerz und Ingrimm, daß ihr Gatte Heinrich Lammert nicht die Rolle im gesellschaftlichen Leben spielte, die ihrem° Herzen wohlgethan hätte. Auch jetzt glaubte sie zu bemerken, daß sich die Frau Landrütin mit ihren Aufforderungen mehr an die andern Damen als an sie wandte. War ihr Heinrich eine politische Null, die man rnhiq übersehen konnte? Zählte er nicht mit, wo es galt, im öffentlichen Leben ein wichtiges Wort zu redeu, einen entscheideudeu Kampf auszufechteu? Es schien so, und mau »lochte in der Beurteilmig ihres Mannes nicht ganz Unrecht haben. Um so mehr war sie entschlossen, ihm diese Gleichgiltigkeit und Verständnislostgkeit für die politischeu Kämpfe der Gegenwart aus- zntreiben. Was in ihren Kräften stand, das hatte sie bis jetzt gethan. Früher war jede Aufforderung, eine» Aufruf zu uuterzeichueu, von Heinrich Lammert mit fauchender Entrüstung in den Papierkorb geschleudert worden. Seit einiger Zeit aber hatte Frau Henriette alle derartigen Briefe aufge­sammelt und mit Entschlossenheit seine» Namen überall da untergesetzt, wo sie