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fordernden Standpunkte der Klasse entspricht, nicht ein paar Einsen zn erreichen und die Fünfen ganz zn vermeiden wären. Und doch giebt es Lehrer, die ihre Klasse das ganze Halbjahr, ja das ganze Schuljahr hindurch durch solche niedrige Zensuren durchschleifen, dabei fortwährend auf die schlechte Klasse schimpfen, auf den Vorgänger im Amte schimpfen, der ihnen die schlechte Klasse übergeben habe, anstatt daß sie einmal ans den naheliegende» Gedanken kämen, daß ihre Anfvrdernngen zu hoch sind, das; ihr Maßstab falsch ist, und daß sie der ganzen Klasse durch andauernd tiefen Zensnrenstand bloß die Laune uud deu Spaß au der Arbeit ver- derben. Das Nichtige ist natürlich, daß an jede Arbeit ein besondrer Maßstab angelegt, daß nicht eher eine Zensur hingeschrieben wird, als bis der Lehrer sämtliche Arbeiten durchgesehen, die schlechtesten mit deu beste» vergliche» u»d a»f diese Weise erst die Enden des Maßstabes in die Hände bekommen hat. Aber geschieht das tiberall?
Außer diesen Zensuren ans die schriftlichen Arbeiten schreiben sich unn viele Lehrer — nicht alle — i» das ominöse Notizbuch auch noch Zensuren nieder über jede „mündliche Leistung" eines Schillers, über seine Übersetzuugen in der Stunde, über die Rechenschaft, die er auf allerhand sachliche Fragen, die nn das Gelesene geknüpft werde«, zu gcbeu weiß u, f. w. Der Schülervater hat also Unrecht, wenn er meint, die mündlichen Leistungen würden bei der Beurteilung der Schüler nicht berücksichtigt. Berücksichtigt werden sie schon, aber es fragt sich, ob in der richtigen Weise. Ich gestehe, daß ich vvn deu Zensuren „aufs Mündliche" nie ein Frenud gewesen bin. Es hätte nur alle Freiheit nud Lebendigkeit beim Unterricht genommen uud mich fortwährend von der Sache abgezogen, wenu ich immer mit dein Texte des Schriftstellers und mit dem Notizbuche gleichzeitig hätte Hantiren und den Eindruck jeder mündlichen Leistung nnmittclbar hinterher in einer Ziffer festhalten fallen. Mau beschäftigt sich doch beim Unterrichte nicht bloß mit dem einen, der gerade steht, sondern unnnterbrocheu nmß die ganze Klasse mit ins Spiel gezogen, mit einer Handbewegung, einem Kopfnicken bald der, bald jener znr Unterstützung herangezogen werden. Das ist gar nicht möglich, wenu man mii dem Notizbuche dasteht. Da ist ma» immer ängstlich bemüht, möglichst reinlich die Leistung des Einzelnen ansznfangen, beschäftigt sich viertelstundenlang ausschließlich mit dem Einzelnen, während sich die andern langweilen oder Allotria treiben, ja ich weiß mich ans meiner eignen Schnlerzeit z» entsinnen, wie sehr die Lehrer, die auch beim mündlichen Unterricht immer das Notizbuch in der Ha»d hatte», die Sklave» ihres Notizbuches waren, nach einem halben Jahre manchmal noch uicht wußte», wie die Schiller ihrer Klasse hieße», nicht eher wieder einen drcmuahmeu, als bis die ganze Klasse durchwar, sodaß die Schüler auf de» klugen Einfall kamen, sich anch ihrerseits Notizbücher anzulegen, ans denen sie genau entnehmen konnten, in wieviel Wochen sie wieder drankommen würden (in der Zwischen zeit wnrde natürlich nicht präparirt) u. s. w. Nein, Lebe», Zusammenhang, allgemeine Beteiligung ka»u im Unterrichte »ur erreicht werde», we»» weiter nichts da ist, als der Lehrer, die Schüler und der Unterrichtsgegenstand -— daS Notizbuch ist vom Übel. Wenn sich der Lehrer den „Folgenden" immer erst unter sekundenlanger atemloser Spanunug der Klasse ans dein Notizbnche heranssncheu muß, an statt sich ihn im Nu mit deu Augeu aus der Klasse zu holen, mir hat das weder als Schüler noch als Lehrer imponirt. Aber freilich, ich weiß, es giebt ganz vortreffliche Lehrer, die auch im müudlicheu Unterricht nicht ohne das Notizbuch auskommen zu köuuen glauben uud deu Kollegen, der das Bnchelchcn verschmäht, mit mißtrauischen Blicken betrachten. Wo willst dn, heißt es da wohl, nin Ende