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Modernes Zeugniswesen
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froh, nls sie aus dein Haust war. Auch das, was uns später über das Fräulein nutgeteilt wurde, macht dieselbe^ nicht empfehlenswert." Dieses Privatzengnis lautete also dein offiziellen schuurstracks entgegengesetzt, nud mein ailf Grund der Zuschrift des jungen Mädchens gebildetes Urteil war richtig. Selbstverständlich lehnte ich Fräulein Meyers Dienstanerbietnng dankend ab nud kannte mich nicht enthalten, im Hinblick auf meine Ansicht über das Wesen der Zeugnisse hinzuzufügen: mit Rücksicht auf private Erknndigungen, die ich eingezogen habe.

Steht nun das Verfahren meines Kollegen vereinzelt da? beider keines­wegs. Da es aber ebeu allgemein geübt wird und da es der Gründ einer Masse von sozialen Mißständen ist, über die fort nnd fort geklagt wird, ohne daß man auch nur den Versuch machte, ihnen zu steuern, so möchte ich, im praktischen Leben stehend nud gezwnugen, jahraus jahrein viele Zeugnisse zn lesen und auszustellen, einmal für Besserung des Zcngnis- wesens oder richtiger -nuwesens au dieser Stelle eintreten.

Wie der Zeuge vor Gericht nach bestem Wissen nnd Gewissen die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetze» soll, so soll auch das schriftliche Zeugnis wahrheitsgetreu und ohne etwas Wesentliches zn ver­schweigen oder etwas Unwesentliches hinzuzusetzen, aussagen, was einem znr Beurteilung eines Menschen im allgemeinen oder irgend einer Thätigkeit von ihm im besonder» wichtig erscheint. Das Zeugnis wird ohnehin stets mehr oder wmiger subjektiv gefärbt sein, man wird immer daran denken müssen, daß z.B. das Wortzufriedenstellend" vielleicht richtiger heißen müßte: Meine (sehr geringen) Ansprüche sind befriedigt worden. Aber das läßt sich nicht ganz vermeiden, wohl aber läßt sich das vermeiden, daß das Zeugnis wider besseres Wissen zn gut ausgestellt wird, um jemandem zu einem bessern Forl­kommen zu verhelfen. Schlechte Zeugnisse kommeil nach meiner langjährigen Erfahrung mir äußerst selten vor, nud zwar aus verschiednen Gründen.

Erstens wird es dem Menschen fast so schwer,die Wahrheit zu sagen," wie die Wahrheil zu finden. Ich nenne nicht das Keife» »»d Schelten über deu Dienstboten, den man bei dem Begehen irgend eines Fehlers ertappt hat, die Wahrheit sagen," sondern das ruhige und gemäßigte Vorhalten des Fehlers, nachdem sich der erste Zorn gelegt hat; diese Kunst, deren Mangel so manche junge Fran nnd damit den ganzen Haushalt unglücklich macht, fehlt ganz allgemein, und sie läßt erst recht im Stich, wenn das Zeugnis geschrieben, wenn schriftlich Zeugnis von den Fehlern des Dienstboten abgelegt werden soll. Bittet gar der Dienstbote, der vielleicht durch sein Benehmen oder durch seine Unfähigkeit, die übernommenen Berpflichtnngen zn erfüllen, jede An- erkennniig verscherzt hat, zur Erlangung eines andern Dienstes, vielleicht mit Zeichen der Rene um ein vorläufiges Zeugnis, so wird es ihm iu deu meiste» Fälleu günstig, d. h. nicht wahrheitsgetren ausgestellt, weil es der gutmütigen