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Tempel und Theater.
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Tempel und Theater

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von Veit Valentin

ultus tind Drama gehören anfs engste zusammen, und zwar so, daß ans dem Cultus das Drama entsteht. Dennoch sehen nur, daß nicht jeder Kultus zum Drama führt, nnd zwar selbst dann nicht, wenn er dramatischen Charakter trägt. Soll dies geschehen, so muß der Kultus einen besondern religiösen Charakter haben. Es darf wohl als ein allgemein giltiges Kennzeichen des religiösen Glaubens betrachtet werden, daß er bestrebt ist, das göttliche Dasein an körperliche, irdische Merkmale zn knüpfen lind es durch sie zu beglaubigen. Nicht ebenso allgemein ist das Bestreben, die Gottheit bildlich zn gestalten. Am meisten fällt das Fehlen dieses Bestrebens da auf, wo der Glaube eine Vielheit göttlicher Wesen voraussetzt. Die dadurch gegebene Notwendigkeit, sich die Verschiedenartigkeit des Wirkens mit einer Verschiedenartigkeit der Erscheinung verbunden zu denken, führt, so sollte man meinen, mit Sicherheit zn einer bildlichen Darstellung, die körperlich das Ebenbild des göttlichen Wesens erstrebt. Und doch sind die alten Germanen bei sinnbildlichen Merkzeichen stehen geblieben, während die alten Griechen zu einer bildlichen Darstellung der einzelnen Gottheiten, die die körperliche Ähnlichkeit erstrebte, weiter gegangen sind. Im Alten Testamente dagegen erscheint der Kampf gegen die bildliche Auffassung mit äußerster Folgen richtigleit durchgeführt. So oft auch das jüdische Volk den Abfall zu der Götter­vielheit uud auch mir den Übergang zur bildliche« Darstellung der Gottheit versuchte, stets wurde es von seinen Propheten zur Gotteseinheit nnd znm Verharren bei der Unbildlichkeit znrückgesührt.

Drängt nun aber die Entwicklung eines Glanbens zu einer möglichst ebenbildlichen Darstellung der göttlichen Wesen, so wird das Hereinziehen solcher Darstellungen in den .Kultus für diesen von der größten Wichtigkeit: er kommt damit dem allgemein menschlichen Bestreben nach bildlicher Gestaltung entgegen, er bietet der Einbildungskraft einen festen Halt und vermag seine eigne Gllmbwürdigkeit in willkommenster Weife zu bestätigen und zn stärken. Es erscheint nun nicht nnr das Bild der Gottheit in ihrem Tempel; in und an diesem werden auch die Thaten der Gottheit rühmend verkündet. Hier kann jeder in der allgemein verständlichen Schrift des Bildes lesen, durch welche