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Buckle und Darwin
Eigentümlich berühren seine Geständnisse in einem Briefe an Bentham vom W.Mai ^863: „Bericht nicht die Schwierigkeit in hohem Grade daraus, daß wir stillschweigend annehmen, wir wüßten mehr, als wir wirklich wissen? Thatsächlich muß sich gegenwärtig der Glaube an natürliche Zuchtwahl aus allgemeine Betrachtungen stützen. Steigen wir jedoch zu Einzelheiten hinab, so können Nur beweisen, daß sich nicht eine einzige Spezies verändert hat, oder wir können wenigstens nicht beweisen, daß irgend eine Spezies sich verändert habe; auch können wir nicht beweisen, daß die angenommenen Veränderungen wohlthätig gewesen seien, was doch die Grundlage der Theorie ist. Ebensowenig können wir erklären, warum einige Spezies sich verändert haben und andre nicht. Bronn sein Zoologe^ dürfte die Kreationisten wie die neue Schule vergebens fragen, warum die eine Müuseart längere Ohren hat als die andre und die eine Pflanze spitzere Blätter als die andre." Der Kreationist würde doch wohl um eine Antwort nicht verlegen sein; er würde sagen, daß der Schöpfer die Wesen mannichfaltig gebildet habe, weil diese Mannichfaltigkeit seinen Neichtnm offenbare nnd zur Schönheit der Welt gehöre. Dies nebenbei. Die Hauptsache ist das Urteil, das Darwin in der angeführten Stelle über seine Hypothese und über sein Verfahren fällt. Seine Lehre ist ihm Gegenstand des Glaubens; dieser Glaube stützt sich auf allgemeine Erwägungen, wie daß jeue Lehre die Verschiedenheit der Tiere und Pflanzen erklärlich mache; durch Thatsachen ist die Lehre nicht zu beweisen, und viele Thatsachen scheinen damit in offenbarem Widerspruche zu stehen. Trotzdem hält er daran fest, weil sie ihm ans Herz gewachsen ist, und setzt sich über die widersprechenden Thatsachen mit dem Troste hinweg, daß wir eben alle nichts wissen. Da haben wir Strich für Strich das Bild eines echten Gläubigen! Wird nun das Verhalten des gläubige» Christen mit Recht getadelt, wenn er sich nicht damit begnügt, den naturwissenschaftlichen oder geschichtlichen Schwierigkeiten gegenüber seinen Glauben festzuhalten, sondern auch noch sür seine theologischen Gründe Geltung in der Natur- oder Geschichtswissenschaft beansprucht, so darf man das gleiche Verfahren an einen: gläubigen Zuchtwähler uicht lobeu, nud beobachtet es der Meister selbst, so knuu das uicht ohne schlimme Folgen für die Sicherheit der wissenschaftlichen Forschung bleiben.
Geradezu gefährlich erscheinen mir folgende Sätze Darwins (Das Variiren der Tiere und Pflanzen I, 9): „Bei wissenschaftlichen Untersuchungen ist es erlaubt, irgeud eiue Hypothese zu erfinden; und wenn eine solche verschiedene große und von einander unabhängige Klassen von Thatsachen erklärt, so erhebt sie sich znm Werte einer wohlbegründeten Theorie. Die Undulationen des Äthers und selbst dessen Existenz sind hypothetisch, und doch nimmt jetzt jedermann die Undulationstheorie sder ungeschickte Ausdruck steht so iu der Übersetzung von Carus^ an. Das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl kann man als eine Hypothese betrachten; doch wird sie einigermaßen natürlich gemacht