Reserveoffiziere und Studenten
VN den vielen beistimmenden Aeußerungen, die unser das Heerwesen verteidigender Aufsatz: „Unsere Reserveoffiziere" hervorgerufen hat, heben wir mit großer Freude eiue Stelle aus der Militär-Zeitung Nr. 50 hervor, iu der es mit Rücksicht auf den „Svmmernachtstraum" heißt: „Die Notwendigkeit wie die -nchtigleit unserer Reserveoffiziere wird von allen Berufsoffizieren viel zn lehr anerkannt, als daß sie derartigen unrichtigen Darstellungen beistimmen könnten." Auf eine in unserer Gesellschaft angeblich weit verbreitete Anschauung müssen wir aber noch eingehen. In der vorletzten Nummer der Grenz- bvten wird die „Schnicpclei" in den akademischen Kreisen als eine Folge des Reserveoffiziertnms bezeichnet. Wer nnsre Kulturgeschichte genauer kennt, wird diese Behauptung schwerlich unterschreiben. Je oberflächlicher, geistloser, gedankenärmer ein Zeitalter ist, desto mehr geht es in äußern Förmlichkeiten auf, desto gewissenhafter und andächtiger werden die Regeln des Wßern Scheines behandelt und beobachtet, desto widerwärtiger zeigt sich die Sucht nach Eigentümlichkeiten in Sprache, Tracht und Umgcmgsformcn, die den Einzelnen — obwohl oder eben weil er ein Herdenmensch ist — aus der großen Herde sichtbar herausheben sollen. Brauchen wir an die lächerlichen Sitten gewisser Zeitabschnitte im Mittclalter zu erinnern, an die Albernheiten de^ Perückenjahrhunderts, an die Verschrobenheiten der Rokokozeit? Wenn wir die geschniegelten, verzierten, weibischen Münncrgestalten des Rokoko sehen, wie sie Ünt spitzigen Fingern das Taschentuch ziehen, wie sie in ihrer putzigen Tracht äffisch einhertänzeln, dann überkommt uns geradezu das Gefühl des Ekels oder die brutale Lust, dazwischenznschlagen. Wer wollte behaupten, daß die abscheulichen Auswüchse jenes Zeitalters durch den Einfluß der Soldateska entstanden seien? Und heutzutage spricht man allen Ernstes davon, dieselben Erscheinungen der verschnörkelten Umgangsform, der gezierten Sprache, des Grenzboten IV 1889 62