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Boris Lensky
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90 Boris Lonsky

Bvris Lensky" gehört zu der seit langer Zeit fast verschollenen Gattung von Küustlerromaneu, und zwar ist es die tragische Lebensgeschichte eines Geigenvirtuosen, die uns hier nicht ganz ohne typische Geltung vorgetragen wird. Den Charakter dieses Helden hat Ossip Schubin mit großer Kraft, tiefer psychologischer Wahrheit nud poetisch überzeugender Folgerichtigkeit ent­wickelt und dargestellt.

Bvris Lensky ist eine ursprüngliche Natur iu zwiefacher Beziehnng. Einmal ist er ein genialer Künstler, mit leidenschaftlichen: Temperament, mit stets ge­spannten Nerven, unfähig, Herr seiner selbst zu werden, jähzornig, explodirend, und doch wieder gütig in tiefster Seele, von unendlicher Innigkeit des Gefühls, von grenzenlosem Bedürfnis zu lieben, zu schenken, andre glücklich zu machen, von bezaubernder Zärtlichkeit und Liebenswürdigkeit in der Hingebung, schöpferisch in seiner Kunst, musikalisch bis in die letzte Faser seines Nervensystems, ein richtiges musikalisches Geuie, wie mau ihm uur je in der Wirklichkeit begegnen kann. Zugleich ist er aber auch ein Russe, und zwar ein ganz ursprünglicher Russe, aus der Tiefe des Volkes durch einen glücklichen Zufall herausgehoben, armer Leute Kind, also in der Jugend nicht erzogen, ungeznhmt und nngebändigt in allen seinen Trieben, als Russe schwach im Charakter, als Russe gutmütig, nicht aus sittlicher Bildung. Daher Künstler und Barbar in einer Person, ganz und gar unausgeglichen in seinein sprunghaften Wesen. Er hat den Zanber seiner Persönlichkeit vielfach unglücklich ausgeübt. Die Menschen, hin­gerissen von seiner Teufelsgeige, haben ihm jeden kecken Streich verziehen, zumal die Weiber, juuge und alte, gesunde und hysterische, gebildete nnd un­gebildete, hoch und niedriggebvrne haben ihn verwöhnt nnd ihm alles gestattet. Er führt das Nomadenleben der Virtuosen, nud wie Dvu Jnan kann er Register über die zahllosen Herzen führen, die er gebrochen hat. Mit der freigebigsten Hand streut er überallhin Gold aus, wo man es nur vvu ihm wünscht. Ein Phantasicmensch, erträgt er mich uicht die geringste Vorstellung fremdeu Leides. Allem uur Phantasie- nnd Gefühlsmensch, ist er kein wirklicher Philanthrop, er kau» uicht im fremden Dienste thätig sein, er, der ja nicht einmal seiner selbst Herr ist, sondern vou seinem Dämon besessen wird; darnm trägt sein Wohlthun keine Zinsen, es wirbt ihm keine Frennde, denn die kann man mir mit der Hingebung seiner Persönlichkeit fesseln. Ja ganz im Gegenteil, er bleibt, trotz aller Offenherzigkeit, trotz der niemals verhehlten Gefühle doch stets ein wirklich einsamer Mensch, nud uur vereinzelt trifft er in seinem langen Leben aufrichtige Liebe. Er führt eiu Doppelleben. Sein Virtuoseutum kann ihn trotz der Lvrberen uud endlosen Goldströme schließlich nicht befriedigen. Er ist tiefer angelegt, nnd diese tiefern geistigen Bedürfnisse macheu sich mit zunehmendem Alter um so stärker geltend. Einstweilen, znr Zeit, dn nur ihn in Paris ans der Sonnenhöhe seiner Laufbahn kennen lernen, betäubt er sich allabendlich in wenig snlonmäsngeu Orgien mit dem Troß seiner männlichen