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Litteratur
Frida Schanz hat in der That ein poetisches Verhältnis zur Kinderwelt, eines, das aus ihrer ganzen Natur und Weltanschauung sich ergiebt, und das ist der originalste Zug an ihrem litterarischen Bilde. Sie ist Pessimistin, Naturschwärmerin, schwermütig, wie fast alle unsre Lyriker; nur ihr gutes Christentum hat sie nicht ganz verloren, sie ist für den Zauber der Andacht, für die Schönheit und Geistestiefe evangelischer Geschichten noch immer empfänglich geblieben, wenn auch mehr ästhetisch als eigentlich gläubig. Die schönste Dichtung des Buches „Ein Traum" ist von religiöser Gläubigkeit erfüllt. Ihr Ideal von Glück sieht sie aber in der Vergangenheit! in der Kinderzeit. Nach jenem Znstande der Einfalt, naiver Unkenntnis der bösen Welt und des herben Schicksals sehnt sie sich zurück. Daraus entsteht ihre Kinderpoesie. Die Dichterin selbst ist aber nicht naiv, nicht kindlich, darum spricht sie über Kinder und von Kindern so, daß auch Erwachsene zuhören können. Ihrer Sprache merkt man ein sorgfältiges Studium, zumal Storms an; sie ahmt seine Naturbilder nach, die sich mit der Zeichnung des Laudschaftsbildes begnügen, um Stimmung hervorzurufen, ohne den symbolischen Gedanken, der verborgen liegt, selbst in Worte zu fassen. Aber Storms Kraft der Phantasie in der Beseelung der toten Gegenstände geht ihr ab; mau wird selten warin bei ihren kleinen Malereien. Besser gelingen sie ihr, wenn, die Pointe wirklich ausgesprochen wird. Der Kreis ihrer Motive ist ziemlich klein. Frühling und Herbst, Sommer und Winter, Stadt uud Land als Gegensätze werden am meisten besungen. Pessimistische Gedanken kehren eintönig wieder. Gern behandelt sie Zeitereignisse Poetisch. Mit offenbarer Absicht ist alle Liebeslyrik bis auf ein einziges Geständnis vermiede«. Den Schluß des Bandes bilden artige Märchen, deren umfangreichstes, „Licht," aber zu breit geraten ist. Bei alledem muH man anerkennen, daß mau in diesem Buche keinem Dilettanten, sondern einem Wirklich künstlerischen Wesen begegnet; selten stößt man sich nn eine sprachlich uuschöue Wendung wie die: „Wie liegt in diesen schwülen Nächten mein ganzes Wesen auf den Knien!" Ein Gedicht möge die Art der Dichterin veranschaulichen; es heißt „Herbstwalten."
Wie du dich zum Tode bereitest,
Schöne, lachende Blütenflur!
Wie du die Pfade sc> goldig umbreitest,
Wie du die Formen so wunderbar weitest,
Wie du noch lächelst im Tod, Natnr!
Purpurne Ranken erglühn nm Gemäuer, Flammende Disteln am steinigen Hang; In des Abends verglimmendes Feuer Tont vom Dorf noch ein lieblicher, treuer, Dankbar jubelnder Kiudergesnug.
Heiter greifst du ins welke Geäste, Streust der Früchte goldiges Not Unter die lockigen kleinen Gäste, Wie ein .König am Siegesfeste, Dein der Tod doch das Herz bedroht,
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grnnvw i» Leipzig — Drnck von Carl Marquart in Leipzig