Die kirchlichen Verhältnisse in «Österreich
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heute nichts andres verlangen könne, als damals, wo es die Herrschaft in diesen Landen antrat. Für diese Deutschen also, die, frei von allen Großmachts- tränmen, nnr an dem festhalten, was ihnen wie jedem andern gebührt, die nichts anstreben als ihr nationales Recht, ist es schmerzlich, ihr eignes Volk in Parteien zerrissen zu sehen. Es ließe sich darüber hinwegkommen, daß innerhalb der sogenannten intelligenten Klassen Meinungsverschiedenheiten über Schutzzoll und Freihandel herrschen, daß die einen dem Juden offen die Freundschaft kündigen, während die andern die Fanst in der Tasche gegen ihn ballen, daß die Formen noch nicht gefunden sind, durch die die Produktion geregelt und dem Arbeiter der ihm gebührende Anteil an dem Gewinn derselben gesichert werden soll; aber es ist für eine nationale Partei unerträglich, wem? sie im Kampfe für die Ehre und Selbständigkeit des Volkes von dem zahlreichste!, und kräftigsten Teile desselben allein gelassen wird, wenn sie schwach nnd verkümmert gegen mächtige Gegner in die Schranken treten soll. Freilich, die ganz klugen Politiker, die alles zu gleicher Zeit erreichen zu können vermeinen, die verlangen die historisch begründete Vorherrschaft der Deutschen über Tschechen, Polen, Slowenen, Magyaren gleichzeitig, während sie sich kaum gegen die Angriffe eines einzigen dieser Völker mit Erfolg zn wehren vermögen, nnd halten es noch obendrein für angezeigt, den Vertretern der eignen Bauernschaft auf alle von ihnen gestellten Forderungen die entschiedenste Verneinung entgegenzuhalten. Sie schmieden Programme nach alten Rezepten, werfen sich voll Gesinnungstüchtigkeit und Konsequenz in die Brust und sehen dabei ruhig zu, wie ihre Gegner eine Position nach der andern erringen, sie halten das für echt deutsch, wenn auch der Zusammenhang der Gesamtheit der Deutschen in Österreich immer mehr gelockert wird. Es lebe Rechthaberei und Eigendünkel, wenn auch die Nation darüber zu Grunde geht!
Die deutsche, nationale Partei wird so lange den slawischen Nationalparteien nicht gewachsen sein, so lange sie nebst der nationalen Unabhängigkeit der Deutschen in Österreich auch noch bestimmte Verfassuugsformen, staatliche Traditionen retten und befestigen will, uUd so lange es ihr nicht gelingt, alle Klassen des Volkes unter ihrem Banner zu vereinen. Um dies zu erreichen, ist es durchaus nicht notwendig, daß die deutschen Nationalen insgesamt ins nltrnmontane Lager übergehen. Davon sind auch die slawischen Nationalen ziemlich weit entfernt. Der Baner ist kein blinder Fanatiker, er wird weder verlangen, daß Österreich für die Wiederherstellnng der weltlichen Herrschaft des Papstes einen Krieg mit Italien beginne, noch daß die Jesuiten zur Leituug der Universitäten berufen werden. Die Beschlüsse der Katholikentage lassen die Bauernschaft in ihrer Gesamtheit ziemlich kalt. Auf deren Programme und Resolutionen hin wird man sie nicht zur Wahlurne treiben. Aber sie verlangt weitergehende Erleichterungen im Schulbesuche, Einschränkung des Lehrstoffes in den Volksschulen und vor allem Bürgschaft dafür, daß die Kinder