Beitrag 
Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.
Seite
63
Einzelbild herunterladen
 

Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Airche. gZ

sidenten der diesjährigen Katholikenversammlung zu Trier, zu gebrauchen, der seinerseits den jetzt zwischen Staat und Kirche geschlossenen Frieden lieber so bezeichnen möchte. Und man muß sagen, das alles ist notwendige Folgerung, sobald man den Dualismus zwischen Staat und Kirche oder Kirche nnd Staat, wie der Ultramontane beständig die Reihe stellt, zugiebt und damit eineu Boden schafft, auf welchem das ganze Mittelalter stand und die katholische Kirche fort und fort steht.

Aber ist das auch der Boden für die protestantische Kirche?

Allerdings, Luther sowie die symbolischen Bücher und die altprotestantischen Dogmatiker stehen noch auf diesem Boden. Aber wie stehen sie darauf? Wenn Luther (und mit ihm die Reformatoren) in der Theorie die hergebrachte Nechts- ansicht von den beiden Gewalten festhält, so beschränkt er die geistliche Gewalt auf die Predigt und die schriftgemäße Spendung der Sakramente. Die ganze Leitung der Kirche und ihre Verwaltung nimmt er nicht den geringsten Anstoß der Staatsgewalt zu überweisen. Er fordert die Staatsgewalt auf, die Reform der Kirche vorzunehmen, er hätte am liebsten gesehen, der Kaiser hätte sich an die Spitze des kirchlichen Reformwerkes gestellt, nicht bloß um die Bestätigung der deutschen Bischöfe durch den Papst und die Geldzahlungen an ihn zu ver­bieten, sondern auch um den Papst selbst auf seine geistlichen Aufgaben zu be­schränken und die Heiligenfeste, die Seelenmessen, die Bettelklöster und die Wall­fahrtskapellen, alles sogenannt innerkirchliche Dinge, abzuschaffen. Damit war im Gründe ein vollständig neuer Rechtsstandpunkt ausgesprochen, mit dessen Geltendmachung ein Wendepunkt in der Geschichte gegeben war. Denn um dieses Verlangen als berechtigt nachzuweisen, mußte die Kirche als hierar­chische Anstalt aufgehoben werden, ein Unternehmen, welches Luther in der überzeugendsten, genialsten Weise in seiner SchriftAn den christlichen Adel deutscher Nation" durchführte. Diese Schrift, die, wie gesagt, die Aufhebung der Hierarchie ausspricht, küudigte damit so sehr die ganze moderne Zeit mit ihrer neuen Geschichtsentwicklung an, daß Hegel sehr Recht hat, wenn er in seiner Geschichte der Philosophie die Hauptthat der Reformation in die Auf­hebung des Unterschiedes von Klerus und Laientum, in die Negirung des Priesterstandes, des sg.oöräotwm, setzt. Hegel hat hierbei gezeigt, welcher scharfe geschichtliche Blick für die Entwicklung des Geistes ihm eigen ist. Was Luther sonst im einzelnen lehrt, das können wir mit unsrer Bildung des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts gar oft nicht mehr bejahen, besonders das nicht, wo er selbst noch auf katholischem oder halb katholischem Boden steht. In solchen Stücken hat seine Lehre wie jede andre theologische Dogmatik ihre ver­gängliche Seite. Was er aber über das Priestertum uud die geistliche Macht lehrt, das schuf nicht bloß damals eine Änderung der politischen und kirchlichen Dinge, sondern ist fort und fort bewegende Kraft in der Gedankenwelt der heutigen Menschheit. Und zwar war die Grundlage der katholischen Hierarchie