Kleinere Mitteilungen.
603
Gebrechen sind verschieden, je nachdem es Ausnahmsgerichte von Beamten oder solche von Laien sind. Aber in einem Punkte sind sie mit einem Gebrechen gleichmäßig behaftet: das ist der Fluch der Unfruchtbarkeit. Aus dem Ausnahmsgerichtc entsteht nie ein weiteres Fortwachsen nnd Fortbilden eines Rechtsgedankens."
In derselben Sitzung führte der Abgeordnete von Trcitschke aus, man sollte sich doch vor Augen halten, daß es zahllose durch die Presse begangene Vergehen gebe, die mit der politischen Freiheit nichts zu thun haben. Sollten unzählige Aeußerungen oder Aufreizungen zum Begehen gemeiner Verbrechen bloß deshalb, weil sie durch die Presse oder mittels der Presse begangen sind, vor die Geschworneu kommen, unO mündliche Aeußerungen gleicher Art nicht? Darin liege doch kein Sinn. Er sehe nicht ein, warum ein Stand in dieser Weise privilegirt werden solle. Wir brauchten die freie Presse wie das tägliche Brot, aber wenn behauptet werde, daß diese Presse immer nur eine Macht des Lichts, der Wahrheit, der Freiheit und Volksbildung sei, so erlaube er sich, zu widersprechen. Es gebe ausgezeichnete Männer, die in der Presse ihre ehrliche, gewissenhafte Ueberzeugung vertreten, vielleicht einseitig, aber ehrenhaft eine aufrichtig gehegte Parteimeinung verteidigen. Aber es gebe auch zahllose politische Blätter, es gebe ganze Kategorien politischer Blätter, bei denen man lügen müßte, wenn man behaupten wolle, sie wirkten bildend auf das Volk. Es gebe politische Blätter, die geradezu vom Schmutze lebten, von Skandal nnd Erregung aller trüben und gemeinen Leidenschaften, ja Blätter, die den literarischen Straßenraub mehr oder minder verhüllt trieben. So stehe es und werde es bleiben. Es gebe wenige Stände, in denen verhältnismäßig eine so sehr gemischte Gesellschaft sich zusammenfinde, wie in dem Stande der Journalisten. Wo liege der Grund, dieser so gemischten Gesellschaft eine besondre Stellung außerhalb des gemeinen Rechts einzuräumen?
In der dritten Lesung des Gerichtsvcrfassungsgesetzes stimmte denn auch, wie schon hervorgehoben, die Mehrheit des Reichstages gegen die Ausdehnung der Zuständigkeit der Schwurgerichte auf die Aburteilung von Preßvergehen. Bei dieser Mehrheit befanden sich von bekannten Abgeordneten vr. Bamberger, von Forcken- beck, Dr. Goldschmidt, Rickert n. a. Die Herren gehören jetzt der deutschfreisinnigen Partei an, also zu deu Antragstellern. Unsers Wissens sind neue Gründe für die jetzt beliebte Ausdehnung der Schwurgerichte nicht aufgetaucht, es hat überhaupt kein Mensch seit Einführung der neuen Justizgesetze mehr an die Frage gedacht. Warum jetzt auf einmal der Antrag mit den Unterschriften damaliger Gegner? Es kann nur einen Grund dafür geben. Das deutsche Volk glaubt nicht mehr an den Beruf der deutschfreistnnigcn Partei für wirtschaftliche uud inner- und außerpolitische Fragen. Die wirtschaftliche Richtung der Reichspolitik hat Wohlstand im Reiche verbreitet, das muß auch der Gegner zugestehen, die Leitung der innern Rcichsgeschäfte ist in allen, selbst den schwierigsten Lagen streng verfassungs- und gesetzmäßig gewesen. Ueber die Leitung der äußern Politik etwas zu sagen, ist überflüssig. Uud so säugt denn das deutsche Volk an, zufrieden zu werden und sich von jenen Nörglern abzuwenden, welche die Zufriedenheit nicht brauchen können, weil es ihuen sonst an Gelegenheit fehlt, ihre Nörgeleien mit Erfolg an den Mann zu bringen. Da gräbt man denn alte „Ladenhüter" aus und will für diese Ausgrabung der erstaunten Nation gegenüber auch noch ein besondres Verdienst in Anspruch nehmen. Vielleicht hat man dabei auch noch einen weiteren Zweck. Die Einführung von Ausnahmegerichten für die Presse und die politischen Verbrechen und Vergehen ist nur durch die Behauptung zu begründen, daß die seitherigen mit der Aburteilung dieser Missethaten betrauten Gerichte, d. h. alle