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Literatur.
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vielfach auf andre Werke verweisen, welche nur der Fachgelehrte leicht bei der Hand haben dürfte, sollen auch mit Dank erwähnt werde».

Wertvoll muß dieser Briefwechsel geuaunt werdeu, weil typischer und drastischer die zwei einander ablösenden deutschen Generationen des vorigen Jahrhunderts, des die Aufklärung verbreitenden Nationalismus uud des die Natur im Geiste erkennenden Humanismus, einander nicht besser gegenüber gestellt werden könnten, als durch diesen Meinungsaustausch der wichtigsten Stimmführer beider Geistes­richtungen. Hier der kernige Nicolai mit seinem gesunden Menschenverstände, seiner lebensklugen Nüchternheit, seinem selbstbewußten Stolze als Deutscher, als Bürger und als literarischer Freund Lessings und Mendelssohns gegenüber der von Fran­zosen beherrschten Akademie in Berlin und ihres königlichen Beschützers; ein muster­hafter Redakteur der Allgemeine» deutschen Bibliothek, für die er fortwährend nach rezensireudeu Mitarbeitern ans der Jagd war, und auf eben einer solchen mit dem ihm noch unbekannten, anonymen Verfasser derFragmente" in Briefwechsel trat; eine brave, aber etwas selbstgefällige Natur, die mit der Bescheidenheit wohl auch kokcttirte; menschlich teilnahmsvoll für den fernen, schnell liebgewonnenen Mit­arbeiter Herder in Riga bewegt, lebhaft im Haß gegen Klotz und dessen Anhang, welche verlogen und seicht gegen ihn, Lcssing uud Herder stritten; dabei doch be­schränkt, ohne Ahnung einer Kuust uud Poesie, welche erst die kommende Generation schaffen sollte; spöttisch und boshaft gestimmt gegen trunken stammelnde Genies wie Hamann: so steht Nicolai in diesem Briefwechsel da. Und ihm gegenüber der jugendliche Herder in seinen ersten zwanziger Lebensjahren. Er fühlt sich offenbar angenehm berührt, zur Mitarbeiterschaft an einem Blatte eingeladen zu sein, woran die von ihm so hochverehrtenMoses" und Lessiug mit schrieben; er nimmt seine Rezensentenarbeit höchst gewissenhaft, er erkundigt sich vom fernen Riga aus lebhaft nach allen literarischen Neuigkeiten, schreibt enthusiastisch über Klopstvcks Oden, uud spricht schou hier vou einer inneren Musik uud Triebkraft der Sprache im poetischen Genius, ein Entrcitsler der geheimnisvollen Ahnungen des nordischen Magus; dabei empfindlich, mißtrauisch uud doch wieder liebenswürdig dankbar und bescheiden, läßt er sich zu seinen leidenschaftlich hingewühlten Aufsätzen schulmeisternde Korrekturen des in seiner relativen Gedankenarmut klareren Nicolai machen. In die Zeit des Briefwechsels fallen aber wichtige Veränderungen in Herders Leben: er enteilt dem Rigaer Amt, fährt über die Ostsee nach Frankreich, kommt nach Paris, die nenen Anschauungen regen ihn gewaltig an, er ahnt schon eine vergleichende Wissenschaft der Literatur, Sprache uud Nation, er kommt über Straßburg nach Bückebnrg, hat den jungen Goethe mit dein Büchlein ,,Ueber deutsche Art und Kuust" in die Literatur eingeführt und ist entzückt vomGötz"; hat für die SchriftUeber den Ursprung der Sprache" einen Preis gewonnen und hat dieAelteste Urkunde des Menschengeschlechts" herausgegeben: eine mächtige Entwicklung ist in ihm vor­gegangen, von der sich Nicolai nichts träumeu läßt, und noch immer schlägt dieser den naiv anmaßenden, wohlmeinenden Ton des korrigircnden Redakteurs und Herausgebers der Allgemeinen deutschen Bibliothek au und macht eifernde Vorwürfe wegen der Teilnahme an denFrankfurter gelehrten Anzeigen." Ein selbstgefällig ironischer Brief Nicolais bringt endlich den zurückhaltenden Herder in Zorn, und dieser ergießt sich in wutstammeluden Sätzen über das arme Hanpt des ganz ver­blüfften Aufklärers. Mit einem sarkastischen Briefe desselben an den hochchr- würdigen Grobian uud Kousistorialrat iu Bückeburg schließt die Debatte ab.

Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig-