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Die Derwische sind hier zahlreich; trotzdem fallen sie viel weniger als die Mönche Italiens in die Augen, denn diese haben eine feststehende Uniform, welche sie ans den ersten Blick von der modern gekleideten Bevölkerung unterscheidet. Hier aber geht alles so bunt und phantastisch einher, daß es erst einer gewissen Übung bedarf, um auf die Derwische aufmerksam zu werden, zumal da die Mitglieder desselben Ordens oder Klosters nicht die gleiche Kleidung tragen, sondern namentlich in den Farben abwechseln. Charakteristisch ist für sie nur eine spitze Filzmütze; auf dem Körper tragen sie einen Weißen Kittel, der oft von den Hüften abwärts in einen umfangreichen Weiberrock ausläuft, und nicht selten hüllen sie sich in einen faltenreichen Nadmantel ein. Aber, wie gesagt, sie verlieren sich unter der Menge bunter Trachten.
Für das soziale Leben des Volkes gewinnen die Derwische dadurch besondern Einfluß, daß sie in dem Gerüche stehen, Krankheiten zu heilen, und daß sie die einzigen Männer sind, welche Zutritt in die Harems haben, wo sie die Frauen einigermaßen in den Geboten der Religion unterrichten. Für die Fremden bieten die allwöchentlichen Zeremonien der heulenden und tanzenden Derwische ein anziehendes Schauspiel, dem beizuwohnen gegen ein zu vereinbarendes Eintrittsgeld gestattet ist. Ich war schon ungeduldig geworden und ging eines schönen Tages ganz allein auf einen vor dem Kloster (Tekke) an dem Tummelplatz stehenden Derwisch zu und gab ihm pantomimisch zu verstehen, daß ich hinein und mir die Zeremonie ansehen wollte. Der gute Mann war auch zufrieden und machte eine so deutliche auf den Bakschisch abzielende Geberde, daß ich ihr sofort Folge leistete. Damit schien aber für ihn das Geschäft abgeschlossen, er machte keine Miene, meinem Wunsche zu willfahren, fvdaß ich zornig wurde und mir den Eintritt erzwingen wollte. Der Derwisch ließ sich jedoch in seiner Ruhe nicht stören, uud erst als er sah, daß ich uicht wich, gab er mir ein Zeichen, ihm in einen gegenüberliegenden Laden zu folgen, und ließ mich dort wissen — wobei der Besitzer den Dolmetscher machte —, daß der Tanz erst einige Tage später stattfände. Er gab mir auch auf meinen Wunsch das Geld zurück.
Ich wartete aber nicht lange, sondern da ich erfahren hatte, daß in Skutari am Nachmittag die heulenden Derwische ihr Schauspiel veranstalteten, brachen wir dorthin auf. Die Zeremonie findet in einer Art von Betsaal im Kloster statt, wir durften aber nicht in diesen, sondern mußten auf die Galerie. Der Saal, niedrig und von mäßiger Ausdehnung, enthält keinen besondern Schmuck, die Altarnische ist einfach, und nur an den Wänden hängen große Pauken, die dann verwendet werden, wenn bei Ausbruch des heiligen Krieges die Derwische mit ihnen durch die Straßen ziehen, um das Volk aufzustacheln. Desto anziehender waren die Menschen. Der Gottesdienst hatte bereits begonnen. In der Mitte des Saales saßen auf Lammfellen etwa sechs bis acht Greise, nicht in Derwischtracht, sondern mit Turban bekleidet; einer von ihnen, der das Ganze zu leiten schien, las aus eiuem Koran eine Sure in feierlichen Tönen, worauf