Beitrag 
Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.
Seite
167
Einzelbild herunterladen
 

167

jeder Vereinigung mehrerer Personen, sondern nur in derjenigen Vereinigung, welche nach Organisation und Zweck einen bleibenden Bestand haben sollte, man nahm an, daß die Gründnng einer Verbindung, sowie der Beitritt zu einer solchen durch ausdrückliche Willenserklärungen erfolgen müsse, auch hielt man daran fest, daß eiue nach außen hervortretende und orgcmisirte politische Partei nicht unter den Begriff der Verbindung falle.

Hierin ist nun durch das Urteil des Reichsgerichts vom 21. und 23. De­zember 1885 eine wichtige Änderung eingetreten. Gegen verschiedene Mitglieder der sozialdemokratischen Partei, meistens Mitglieder der sozialdemokratischen Neichs- tagsfraktion, war in Chemnitz ein Strafverfahren wegen Übertretung der beiden angeführten Bestimmungen eingeleitet worden, welches jedoch mit einer Frei­sprechung endigte, weil das erkennende Gericht nicht finden konnte, daß die Angeklagten eine Verbindung im Sinne des Gesetzes gebildet hätten. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob das Reichsgericht in dem genannten Urteile das Erkenntnis des ersten Richters wegen falscher Auslegung des Strafgesetzes auf, uud in den ausführlichen und scharfsinnigen Gründen stellte das Reichs­gericht eine Anzahl von Sätzen auf, welche sich zu der bisherigen Auslegung des Gesetzes in schärfsten Gegensatz stellen.

Zunächst versteht das Reichsgericht unter einer Verbindung jede organisirte Vereinigung von gewisser Dauer, welche die Unterordnung ihrer Mitglieder unter den Gesamtwillen für die Dauer der Mitgliedschaft zur Voraussetzung hat; die Handlung, durch welche die Unterordnung vollzogen wird, und der Beitritt können und hierin liegt die bemerkenswerteste Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung zusammenfallen, sie können ferner nicht nur aus­drücklich, sondern auch stillschweigend, durch sogenanntekonkludeute" Handlungen erfolgen (d. h. Handlungen, die den Entschluß der Unterordnung in sich verkörpern), und endlich kann die Gründung der Verbindung in derselben Weise geschehen und ebenfalls mit der Unterordnung und dem Beitritt zusammenfallen. Hiervon ausgehend, folgert das Reichsgericht, daß eine politische Partei, die änßerlich als solche hervortritt und sür jeden als solche erkennbar ist, eine Verbindung im Sinne des Gesetzes sein kann, daß ferner die Absicht der Geheimhaltung keiner ausdrücklichen Verabredung bedarf, sondern sich auch von selbst und still­schweigend ergeben kau», daß gesetzwidrige Zwecke der Verbindung schon dann vorhanden sind, wenn es anch nicht zur Beschäftigung mit ihnen gekommen ist, und daß schließlich schon in der Aufforderung zur Verfolgung gesetzwidriger Zwecke eiue Beschäftigung mit ihnen liegt.

Mit Hilfe dieser weitgehenden Auslegung wurde es möglich, die Geheim­organisation der Sozialdemokratie durch die Waffen des gemeinen Rechtes in viel schärferer Weise zu bekämpfen als durch das Gesetz vom 21. Oktober 1878. Die zahlreichen, seither geführten Untersuchungen haben Verbindungen zu Wahl-, Unterstützungs- und Agitationszweckeu aufgedeckt. Eine hervorragende Rolle