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Kanon, so doch möglichst sichere Gesetze und Muster zur Anerkennung zu bringen; und dazu reicht eine „christliche Ästhetik" nicht ans.
Es sind nnn bald vierhundert Jahre her, da erschien an demselben Orte, an dem diese ihre letzte und sicherlich mit bedeutendste Äußerung wie so viele andre das Licht der Öffentlichkeit begrüßte, nämlich zn Freiburg im Breisgan die erste jener künstlerischen Bußpredigten in Deutschland, in denen mit einseitiger Empfehlung der religiösen die gesamte profane Kunst in Grund und Boden verdonnert wird. Ihr Autor ist an Gewicht, sie selbst an Geist und Gelehrsamkeit nicht mit der unsrigen zu vergleichen; denn es ist der in der deutschen Literatur hinlänglich bekannte Dr. Thomas Murner, und sein Opus heißt, jedem Eingeweihten verstündlich: I-Iisron^inig-rm ^u^u8tiuis.ng,<ZM xuäieoruro. poems-tuin voinQ'isuZMo, irnpuäieorruri vsro rniranclg, (ZÄstiMtio. Aber eiu Umstand liegt doch vor, der uns diese Jnknncibel der christlichen Ästhetik gerade bei dieser Gelegenheit in die Erinnerung zurückruft. Wie diese „Ästhetik" nämlich, wendet sich jenes poesicfeindliche Libell an die Kunstfreunde überhaupt, und niemand geringeres als seine frühern poetischen Freunde, die Straßburger Humanisten selbst, sollte» dem bekehrte» Musensohne dazu helfen, seine nunmehrigen künstlerischen Ansichten zu empfehlen. Die guten Humanisten waren sicher in nicht geringer Verlegenheit. Was der Autor da sagte von den heidnischen und weltlichen Unsitten in der damaligen religiösen Poesie, das war ja wahr, und ihre Rüge verdiente alles Lob. Aber es war so gewendet, als wäre die religiöse Poesie die Poesie überhaupt, und als beginge die eben wieder kunstfroh gewordene Welt eine Todsünde mit ihrer harmlosen Auszierung derselben durch die schönen Kunstmittel des heidnischen Altertums. Sie beschränkten sich also darauf, die Tendenz der Schrift soweit zu erwähnen, als sie den Geistlichen auf heilige Dinge verweist. Nur der wackere Ulrikus Zasius ging weiter. Nachdem er wie die übrigen sein Gesätzlein aufgesagt, schließt er mit der vieldeutigen Meinung: HulocMÄ xr^ötergg, rsIiAo8U8 ckssixit. Nun, in der sichern Überzeugung des Dichters, daß das ctssixvrs auch dem Weisen unter Umständen wohl anstehe, können wir uns wirklich kaum zurückhalten, dem Werke des geistreichen und gelehrten Paters mit der wärmsten Zustimmung aller Kunstfreunde zu seinen Ausführungen über religiöse Kunst das Sprüchlein des alten Humanisten mit auf den Weg zu geben: Huioczuiä prÄgtea-sg. rsliZiosuZ 8S.M, clssipit.*)
Am Schlüsse des ersten Teiles dieses Aufsatzes in der vorigen Nummer ist ein Satzfehler übersehen worden. Es muß statt überltsthctischer Neigung heißen: übernsthe- tischer Reizuug.