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Gedenke, daß du schuldig bist
Den Armen, die nichts haben,
Nnd deren Recht gleich deinem ist
Au allen Erdengaben.
Wenn jemals auch zu dir des Lebens
Gesegnet goldnc Ströme gehn,
Laß uicht auf deineu Tisch vergebens
Den Hungrigen durchs Fenster sehn;
Verscheuche uicht die wilde Taube,
Laß hinter dir noch Aehren stehn
Und nimm dem Weinstvck nicht die letzte Traube.
Fichte erachtet die planmäßige, orgnnisirte Wohlthätigkeit zu dauernder nnd nachhaltiger Hilfe des Eigentumslvsen für eine Pflicht des Besitzes. Das gewöhnliche Almosengeben ist ein sehr zweideutiges gutes Werk. Wer ein Almosen giebt, das nicht ganz hilft, kann vernünftigerweise damit mir soviel sagen wollen: Ich will dir nicht oder ich kann dir nicht helfen, suche andre auf; und damit dn bis dahin dein Leben fristen kannst, gebe ich dir diese Gabe.
Vom streng manchesterlichcn Standpunkte ans stellt Bentham den Grundsatz auf, daß eine regelmäßige Abgabe fiir die Bedürfnisse der Armut eingeführt werden muß, weil der Anspruch des Armen als solchen stärker ist als der Titel des Eigentums von etwas Ueberflüssigem als Eigentümer, weil der Schmerz des Todes, welcher schließlich den vernachlässigten Armen treffen müßte, immer ein größeres Uebel sein wird als der Schmerz getauschter Erwartung, welchen der Reiche empfindet, wenn ihm ein beschränktes Teil seines Ueberflusses entzogen wird.
Was so die Träger des sittlichen Bewußtseins der Menschheit zu den verschiedensten Zeiten aufgestellt nnd gelehrt haben, kann nicht unbeachtet gelassen werden nnd wird auch in der That von der öffentlichen Meinung hochgehalten. Wer sich als Reicher jener Pflichten des Besitzes entschlägt, wird von der öffentlichen Meinung darnach angesehen und gering geschützt, und diese öffentliche Meinung ist vorhanden, wenngleich sie kein Organ besitzt.
Ich will hier einschalten, daß ich mit diesen Ansführnugen einem Vortrage folge, welchen Ministerialrat Dr. Steinbach vom österreichischen Justizministerium am 5. November im Wissenschaftlichen Klub zu Wien gehalten hat. In Wien hat die öffentliche Meinung allerdings keine Organe, denn die vorhaudnen Zeitungeu haben sich zn Trabanten gerade jenes in Börsenspeknlativuen rasch erwvrbuen Reichtunis eruiedrigt, welcher die Pflichteu des Besitzes nicht kennt und nicht übt. Von den Wiener Zeitungeu sind denn auch die zeitgemäßen, ernsten nnd wahrhaft beachtenswerten Mahnungen Steinbachs, desseu Mut nnd Unerschrvckenheit nur derjenige zn würdigen vermag, welcher die Wiener Verhältnisse näher kennt, entweder mit Stillschweigen Übergängen oder vom Standpunkte der modernen Börsenbarvne ans zurückgewiesen worden.
Mit Bezug auf Wiener Verhältnisse im besondern, welche allerdings anderwärts zahlreiche Analogien finden, untersnchte Herr Ministerialrat Steinbach den wachsenden Widerwillen des Volkes in der Gegenwart gegen den Reichtum nach seinen Ursachen. Vom Reichtum wird als Vorbedingung verlangt, daß er gerecht erworben werde uud edle Verwendnug finde. Wo mm große Vermögen geheimnisvoll, etwa durch Wucher oder Spiel, erworben und unedel, etwa durch Verschwendung oder Geiz, verwendet werden, da hört die Achtung des Volkes vor dem Reichtum auf.
Was die öffentliche Meinung sagt und will, erscheint auf deu ersten Blick nicht von reeller, praktischer Bedeutung, ist es aber in Wirklichkeit dennoch; denn ans den öffentlichen Grundsätzen der Sittlichkeit entwickelt sich das Recht. Zwar werden