Berlin, wie es wächst und verschlingt.
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aus dem Jahre 1871 stammend und daher seinen Namen tragend (bis dahin war der jetzige blühende Ort ein völlig kahler Teil des verschwundnen Rittergutes Wilmersdorf), hat seine großen Vorzüge: die verhältnismäßige Nähe der Stadt, den Besitz zweier Bahnhöfe (der Potsdamer und der Ringbahn), die hohe und gesunde Lage, die rasche Entfaltung lokaler Annehmlichkeiten. Aber leider hat der Ort mit einigen, allerdings mehr auf Unkenntnis und Spottlust wie auf wirkliche Verhältnisse zurückzuführenden Übeln Nachreden zu kämpfen. Steglitz ist reizend und bietet große Annehmlichkeiten; insbesondre ist der Fichtenberg, eine bewaldete, jetzt parzellirte uud sich allmählich in einen Villenbezirk umwandelnde Höhe, für Spaziergänger entzückend. Dagegen hat der untere Teil die Schattenseite, daß es (des fehlenden Gefälles wegen) kaum möglich ist, eine geordnete Kanalisation zn bewerkstelligen, uud die Bewohner des Fichtenberges klagen sehr über die Gnitzen (Schnaken), die kaum minder schlimm als Moskitos seien. Steglitz befindet sich in mächtiger Entwicklung, und schon beginnt der Spekulationsbau von Miethäusern hier einen großen Umfang anzunehmen, während Friedenau mehr der Sitz für die Errichtung kleiner Einfamilienvillen ist. Lichterfelde, der dritte oder mit Einrechnung vou Schöneberg vierte der an der Potsdamer Bahn liegenden Vororte, bietet in mancher Hinsicht beachtenswerte Vorteile, nur ist es schon etwas entfernt. Nach Friedenau, am Ende auch nach Steglitz kann man schlimmstenfalls einmal aus der Stadt zu Fuße gehen, aber nach Lichterfelde doch kaum mehr. Geht einmal die längst projektiere Pferdebahn durch die weitgedehnte Schaar von Villengruppen, welche zusammen den Namen Lichterfelde trügt, der ganzen Länge hindurch, dann durch Steglitz nach Friedenau und von hier einerseits nach Schöneberg, anderseits durch die Kaiserstraße zum Zoologischen Garten, dann allerdings wird dieser Punkt nicht mehr so gefährlich sein, aber einstweilen fällt er hindernd ins Gewicht. Übrigens befindet sich auch Lichterfelde in großer und stetiger Aufnahme. Zehlendorf, der fünfte und letzte in der Reihe dieser Orte, ist für das bessere Publikum zu entlegen und bietet zu wenig sonstige Vorteile, doch wohnen hier zahlreiche Arbeiter, und auch zu Sommerwohnungen ist der Ort für kleinbürgerliche Familien recht beliebt. Ein eigentlicher Vorort ist es zur Zeit wohl kaum, doch dürfte es sich später zu einem solchen entwickeln. Endlich haben wir da Charlvttenburg, mit all seinen 40- bis 50000 Einwohnern und seinen breiten, prächtigen Straßen doch nichts selbständiges, sondern nur ein großer Protest gegen Berliner Wohnungsznstände und ein erster krampfhafter, halb unbewußter Ansatz dazu, denselben etwas erfreulicheres gegenüberzustellen. Dies ist und bleibt das Gepräge von Charlvttenburg. Die Stadt hat (oder hatte bis zur Eröffnung des Polytechnikums, welches diese Verhältnisse mit der Zeit etwas ändern dürfte) keine Hotels, keine großen Ladengeschäfte, keine feinen Restaurants; sie ist ein Vorort im großen, in den eine Anzahl alt-spießbürgerlicher, eingeborner Elemente eingesprengt sind — das ist alles. Als Vor-