Die Konferenz in Konstantinopel.
343
auf der Balkanhalbinsel zur Notiz nehmen konnten. Fürst Alexander, der ohne Erlaubnis der Russen gehandelt hatte, muß unverrichteter Sache umkehren und wird froh sein können, wenn er dnrch Vermittelung Englands, dessen Königin mit ihm verschwägert ist, und durch die Fürsprache von Mächten, die auf dem bulgarischen Throne kein Werkzeug der Petersburger Politik sehen wollen, der Absetzung entgeht. Die Bulgaren erfahren, daß sie ohne russische Leitung nichts thnn und erreichen können. Rußland verliert etwas an moralischem Ansehen bei den Pcmslawisten, wenn es die Befreiung von Slawen von der Herrschaft der Pforte für jetzt vereitelt, aber es zeigt ihnen, daß der Zar ihr einziger Befreier ist und alle andern falsche Propheten sind. Die indirekte Gönnerschaft gegenüber der Türkei scheint nicht zu dem seit Generationen fortgesetzten Vordringen gegen Konstantinvpel zu stimmen; wenn wir uns indes umsehen, bemerken wir, daß Nußland immer abwechselnd die Pforte angegriffen und unter seine schützenden Flügel genommen hat. Der Schutz wurde aber immer nur gewährt, um andre abzuhalten, sich zu nehmen, was man selbst dereinst sich nehmen zu können hoffte. Als z. B. fünf Jahre nach dem russischtürkischen Kriege von 1828 Mehcmed Ali durch Syrien gegen Stambnl heranzog, rettete ein russisches Korps dem Sultan seinen Thron vor dem gewaltigen Ägypter. Ein vereinigtes Bulgareulcmd hätte mit der Zeit die Kraft erlangen können, mit den Türken auf eigne Rechnung Krieg zu führen und ihnen von ihrem Besitze zu nehmen, und die kleinern Nachbarn hätten sich dann wohl angeschlossen und ebenfalls Bellte gesucht. Jetzt finden alle die Kleinen, daß der große Zar solche Pläne nicht vorbereiten läßt, und diese Erfahrung wird lange nachwirken.
Weniger glücklich hat bis jetzt Österreich operirt, indem es Serbien erst ermutigte und dann abmahnte. Wenn aber Wiener Blätter davon reden, daß man es von Berlin aus zu einer wenig ehrenvollen Unterwerfung unter russische Forderungen genötigt habe, so ist das völlig grundloses Gerede, das keiner Widerlegung bedarf. Deutschland geht aus der Angelegenheit mit heiterer Ruhe als das hervor, was es seit vierzehn Jahren immer gewesen ist, als die große unparteiische Macht, die kein andres Interesse als die Erhaltung des Weltfriedens hat, und keine andre Politik als die verfolgt, sich widersprechende Interessen andrer nach Möglichkeit ratend, nicht nötigend und gebietend, zu vermitteln und auszugleichen, und die sich in dieser Eigenschaft des allgemeinen Vertrauens und Entgegenkommens erfreut. Wie aus der Rede hervorgeht, die Graf Kalnoky vor der ungarischen Delegation hielt, hat sich in den Beziehungen Österreich- Ungarns zu Deutschland und dieser beiden Mächte zu Nußland im letzten Jahre durchaus nichts geändert. Das Verhältnis der beiden ersteren Mächte beruht nach ihm auf Grundlagen, die kein politisches Ereignis verrücken kann. Die Beziehungen Österreich-Ungarns zu Rußland basiren ausschließlich auf allgemeinen völkerrechtlichen Verträgen, nicht auf einem besondern Abkommen. Beide