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Neue Dramen.
welches im Theater noch lebendiger ist als bei der Lektüre eines Buches, nicht verletze. Es fragt sich nnr, ob wirklich durch die Umdichtuug unser Gefühl weniger verletzt wird, und ob die Handlung, welche von Haus aus eine Tragödie der Leidenschaften bildet, noch immer eine solche ist? Denn uns scheint es doch gewissermaßen als Pflicht des Dichters, bei der Darstellung von Gestalten der Volks- phantnsie oder der Sage auch in der Idee des Stoffes an der Tradition festzuhalten, sonst sind es uur die alten Name», aber nicht die alte, so gern gehörte Geschichte, die er dem Volke in neuer Form erzählt. Mau hat dies auch mit Recht dem „Don Juan" Paul Heyscs vorgcworfeu, der eben kein Don Juan mehr ist.
„Ein Weib, das sich gleichmäßig beiden hingiebt, dem Gatten und dem Geliebten, kann niemals die Heldin einer Tragödie werden; jede tragische Wirkung würde aufgehoben durch die Beleidigung des sittlichen Gefühls und die Verletzung der weiblichen Würde" — damit nimmt Nöber Stellung zu dem Stoffe, wie. ihn der Epiker noch überliefert und — stößt sich eigentlich am Kern der Sache. Er läßt es daher nie dazu kommen, daß Isolde clo laoto die Gattin Markes wird, sondern Braugäne, jene Kammerfrau, welche sie im Epos nur die erste Nacht ersetzt, muß permanent ihre Stellvertreterin in dieser ehelichen Pflicht bleiben. Damit ist die ganze frühere Idee über den Haufen geworfen und die Verwicklung eine ganz andre geworden. Als Tristan für seinen Onkel Marke um die Hand Jsoldens am Hofe von Irland zu werben kommt, da schnaubt sie wilde Rache gegen ihn, der ihr den Bräutigam Morold getötet hat. Aber das feine Wesen Tristans uimmt sie wundersam gefangen, uud in dem Augenblicke schon, da sie dem Drängen ihrer Mutter nachgiebt (welche aus Politischen Rücksichten ihre Ehe mit Marke wünscht) und sich noch selbst vorspiegelt, daß sie Tristan als Königin nmso leichter werde verderben können, da schon ist die Liebe zu ihm über sie gekommen, uud der hierauf gemeinsam getrunkene Zaubertrank hat sie vollends jeder wcitern Selbstbeherrschung beraubt. Gleich im Beginn der Handlung knüpft also Röber den Knoten der tragischen Schuld, uud Isolde spricht (V. 1) die Idee derselbe» vor Tristan aus:
Uns beiden muß gereichen Zum Heil das Unheil, denn die Buße ist'S, Daß ich in jener unheilvollen Stunde Das eigne Herz wollt' zwingen, daß ich nicht, So wie ich sollte, sprach: Den König nicht, Dich nehm ich zum Gemnhl? daß du nicht sprachst: Dich nehm ich für mich selbst, nicht für den König! So mag sie uns eutsünd'gen, dich und mich —
eine Idee, welche sich zur Tragik des Gottfriedschen Epos etwa wie eine fein ausgetüpfelte Heysesche Novelle verhält. Der erste Akt, der Exposition und Verwicklung schon cuthält, ist übrigens in jeder Beziehung ein Meisterstück und bereitet den Leser auf das Größte vor. Doch nun tritt Braugäue notwendig in deu Vordergrund des Interesses. Ans der Bühne kommt zwischen ihr und Isolden — man denke ! — die heikle Angelegenheit der Stellvertretung znm Anstrag! Als Geibel in seiner „Brunhilde " die Szene zwischen Gnnther uud Siegfried darzustellen hatte, wo der letztere gleichfalls eiue so iuterefsante Pflicht zu übernehmen hatte, da verlegte er wohlweislich das ganze Gespräch hinter die Kulissen. Hier sprechen zwei Frauen offen davon, und es nützt garuichts, daß die gutmütige Braugäne in aller Ehrlichkeit wild aufbraust und sich uur durch die flehentlichsten Bitten Jsoldens zu jenem Liebesdienste bewegen läßt. Auch hier fehlt es nicht an Mo-